Eugenie Schmidt stellt sich auf die Zehenspitzen und angelt ein bodenlanges Kleid von einer hohen Stange im Atelier. „Das ist gerade mein Lieblingsstück.“ Ein Samtkleid, schokobraun, mit Ausschnitt und kapuzenartiger Schleppe. Und mit einer Vorgeschichte, es ist recycled. Das ursprüngliche Kleidungsstück, zufällig ebenfalls ein Kleid, wurde dafür in seine Einzelteile zerlegt und komplett neu gedacht. Was einst als Rockfutter diente, glänzt nun als Rückenteil. Das Kleid gehört zur aktuellen Kollektion von Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi. Zusammen mit 19 anderen Looks ihres Labels Schmidttakahashi ist es diese Woche auf ihrer Schau bei der Berliner Fashion Week zu sehen.
Ein paar Tage vor Beginn der Fashion Week steht Eugenie Schmidt in
Fashion Week zu sehen.Ein paar Tage vor Beginn der Fashion Week steht Eugenie Schmidt in ihrem Atelier in einem Kreuzberger Hinterhof, zupft ein paar Fadenreste vom Saum des Abendkleids und versucht zusammen mit ihrer Partnerin Takahashi zu erklären, was ihre Mode ausmacht. Auf dem Boden liegen ein paar Stoffstreifen, an einer Schneiderpuppe sind eine braune Felljacke und ein blaues Mantelrevers zu einem Cape mit Frackschößen zusammengepinnt. Nachhaltigkeit habe sich während des Modestudiums in ihre Arbeit geschlichen, sagt Takahashi: "Wir wollen die ökologische Schuld nicht an den Konsumenten weitergeben." Reanimation nennen die beiden ihr Konzept – Wiederbelebungsmaßnahmen, sogar Acrylpullis ribbeln sie dafür auf. Schmidt und Takahashi lernten sich beim Modestudium in Berlin kennen. Ihr Label entstand aus ihrer gemeinsamen Abschlusskollektion.UpcyclingDas Recycling von gebrauchten Kleidungsstücken – auch Upcycling genannt – ist eine spezielle Facette des Ökomode-Trends, der vor allem auf Kleidung aus fair gehandelten und ökologisch einwandfreien Materialien setzt. Seit Sommer 2009 bietet die Fashion Week unter der Überschrift Green Showroom Öko-Labels ein eigenes Forum. Und parallel zur Fashion Week gibt es in Berlin auch The Key to, eine Messe, die ausschließlich Öko-Mode präsentiert.Weil der Öko-Branchenzweig noch verhältnismäßig jung ist, war Recycling-Mode zunächst oft eine Notlösung. "Ökologische Stoffe zu bekommen war lange ziemlich schwierig", sagt Cecilia Palmer, die in Berlin unter dem Label-Namen Pamoyo Mode aus Gebrauchtware designt. "Ich wollte Kleidung herstellen, die sozial und ökologisch gerechtfertigt ist", sagt sie. "Wir haben die Ressource alle im Kleiderschrank: Tonnen von Stoff, die nicht mehr getragen werden." Dass Recyceln die konsequenteste Form von Nachhaltigkeit ist, findet auch Christina Schelhorn: "Schließlich ist auch bei Öko-Baumwolle der Wasserverbrauch immens." Seit Kurzem betreibt Schelhorn in Hamburg mit ihrem Label "Redesign" einen eigenen Laden. Damit möglichst viele Altes als Rohstoff begreifen, geben Palmer und Schelhorn auf Workshops ihre Ideen auch an Nicht-Designer weiter.Die Modemacher stöbern auf Flohmärkten oder Recyclinghöfen nach Rohstoff-Nachschub, Schmidttakahashi entwarfen zudem eine eigene Kleider-Sammelbox. Teils bekommen die Designer auch säckeweise getragene Hosen, Pullover und Röcke zugeschickt. "Die Leute sind total froh, dass ihre Stücke so eine neue Verwendung finden", sagt Schelhorn. Denn was in Altkleidersammelcontainern landet, wird meist geschreddert oder nach Afrika geschickt und ruiniert die dortige Textilindustrie.Auch international gibt es daher immer mehr Modeschaffende, die nun aus alt neu machen. Seien es die Londoner Recycling-Veteranen von From Somewhere, die schon seit 1997 so arbeiten, das originelle Label Andrea Crews aus Paris oder die Puristen von Good One. Dass sie aus Secondhand-Sachen bestehen, sieht man den meisten Mode-Kollektionen dabei nicht an."Die Kunden fragen mich häufig, ob es alt ist oder neu", erzählt Schelhorn. Beim Ehrgeiz unterscheiden sich Recycling-Designer nicht von ihren konventionell arbeitenden Kollegen: Der Ökologie-Aspekt soll nicht das Hauptverkaufsargument sein, sondern das Design. Mal minimalistisch, mal ist das Patchwork nicht zu übersehen, besonders originell bei dem Londoner Designer Lu Flux. Mit demselben Stil haben die bonbonbunten Klamotten der Modemarke Desigual derzeit großen Erfolg. Desigual-Gründer Thomas Meyer schneiderte in den achtziger Jahren aus der Ware seines Secondhand-Ladens auf Ibiza erste Modelle. Der Look war damals notgedrungen "desigual", ungleich eben. Heute sind die Desigual-Stoffe keine Recyling-Ware mehr, der Look ist aber geblieben.Unikate vervielfältigenRecycling-Mode scheint einzigartig zu sein. Was schlecht für die Designer ist: Nur wenn sie die Stücke ihrer Kollektionen vervielfältigen können, lohnt es sich. Die meisten haben aber Wege gefunden, ihre Unikate annähernd zu reproduzieren: Indem sie andere, ähnliche Stoffkombinationen für die stilprägenden Schnittmuster verwenden. Oder wie Schmidttakahashi und Pamoyo auch normale Stoffe dazunehmen. Für ihre aktuelle Kollektion haben Schmidttakahashi eigens Teile entworfen, deren Schnitt einfach übertragbar ist: Kragen und Knopfleiste von Blusen und Hemden sind wie ein V-Ausschnitt in Pullover eingesetzt, die Ärmel finden in anderen Oberteilen Verwendung. „Das lässt sich leichter vervielfältigen“, sagt Takahashi. Normalen Stoff zu benutzen hat zudem noch einen Vorteil: Muss man sonst materialbedingte Nähte immer als Stilelement mitdenken, können die Designer so auch „Flächen“ gestalten.„Kleidung ist ein Speichermedium“, das ist Schmidttakahashi wichtig. Wer Kleidung spendet, soll in Zukunft auf ihrer Homepage die Hintergrundgeschichten dazu eintragen können. Ob der Rock von der Oma war oder die Hose von der Konfirmation. Dass das Prinzip Charme hat, lässt sich bei Re-Shirt sehen – einer Online-Kleiderbörse (re-shirt.net) exklusiv für T-Shirts, immer mit dazugehörender Story.Der Stoff für neue Entwürfe wird Schmidttakahashi jedenfalls so schnell nicht ausgehen, Geschichten-Nachschub wartet schon. Hinten in der Ecke des Ateliers stehen tütenweise alte Klamotten.