Mit dem Bundesrat ist diese Woche die hohe Politik endgültig nach Berlin umgezogen. »Wir lassen eine grüne Idylle zurück, eine heile Welt«, hieß es noch am 14. Juli, als während der letzten Sitzung am Rhein die Steuerreform beschlossen wurde. In dieser »heilen Welt« der Beamtenstadt Bonn findet in einer Müllverbrennungsanlage gegenwärtig der wichtigste Streik der Republik statt.
Abwarten und Kaffee trinken. Und im Streikzelt auf gepolsterten Plastikstühlen die Bonner Ausgabe des Express zum soundsovielten Male gelangweilt zur Seite legen. Oder Radio hören. Karten spielen. Den Grill anwerfen. Mal durch die kleine Gittertür am Eingang 2 auf das Gelände der Müllverbrennungsanlage (MVA) gehen und sich die Beine vert
en und sich die Beine vertreten. Im Streikbus vor dem Tor einen Kaffee kochen. Auf den arroganten Professor schimpfen, der den Chef des Bonner Stadtwerke-Konzerns spielt. Selten kommt mal ein eiliger Journalist vorbei. Ab und an fragt ein unsicherer, aber freundlicher Bürger, wo er die alten Möbel abladen kann.Eine Streik-Schicht dauert sechs Stunden. Das ist kürzer als eine reguläre, aber irgendwie sind die sechs Stunden länger. Wenn der Müll von der Laderampe in den Ofen gekippt werden muss, weiß man, was Arbeit heißt. Aber der Streik, der nun schon vier Wochen dauert? - Am 21. Juni, 22 Uhr, legten die Beschäftigten mit Beginn der Nachtschicht den Müllofen kalt. Der Termin war wohlbedacht, denn am folgenden Tag war Feiertag. An Fronleichnam wird kein Abfall angefahren.In der Urabstimmung hatten die zu zwei Dritteln in der ÖTV organisierten Mülltechniker - bei einer Gegenstimme - für den unbefristeten Streik gestimmt. Sie fordern die gleichen tariflichen Sicherheiten, wie sie für die übrigen 2.000 Beschäftigten der Stadtwerke Bonn (SWB) gelten. Die MVA GmbH soll nämlich weiter umstrukturiert, sprich verkauft werden, zumindest teilweise. Dann wäre der bisherige Tarifvertrag nicht mehr gültig. Als Aufkäufer steht seit Jahren der rheinische Müll-Monopolist Trienekens mit seinem Bonner Tochterunternehmen TK Umweltdienste bereit. Sein ehemals mittelständisches Unternehmen gehört inzwischen zu RWE.Die SWB hatten eine Betriebsvereinbarung angeboten. Das sei im Gegensatz zu einem Tarifvertrag aber »kein echter Schutz«, sagt Rolf Kluge, Geschäftsführer der Bonner ÖTV und Streikleiter. Der versprochene Kündigungsschutz für 12 Jahre habe bei einem neuen Eigentümer keine Verbindlichkeit. »Mit Verbrennungsbeamten können wir im Wettbewerb nicht bestehen«, so der SWB-Chef, Professor Dr. Hermann Zemlin, der viel Wert auf einen Professorentitel legt, den er in seinem früheren Beamtenleben erworben hat. Den Streik betrachtet er als rechtswidrig, vor Gericht hat er eine Niederlage erlitten. Doch er festigt seinen Ruf, arrogant und kaltschnäuzig zu sein, mit einem neuen Spruch: »Kocht Ihr hier schön Euren Kaffee, bringen tut es sowieso nichts.«Der Streik läuft Tag und Nacht im Vier-Schicht-Betrieb. Inzwischen reicht es, nur noch einen Teil der Tore mit den Privat wagen zu blockieren. Die SWB-Führung vermeidet seit Streikbeginn jeden öffentlichen Konflikt. Sie hat nie versucht, Müll einzuliefern und den Betrieb durch externe Kräfte aufrecht zu erhalten. 2000 Tonnen Müll lagern noch im Inneren der Anlage, drei Kollegen passen laufend auf, dass die entstehenden Gase abgesaugt werden und sich der Abfall nicht selbst entzündet.Das Streikinfo Nr. 2, ausgegeben am ersten Streiktag, rechnete das Streikgeld vor: Wer 4.100 Mark brutto verdient, bekommt 102,50 Mark Streikgeld pro Tag und 10 Mark Verpflegungszuschuss. Bei 26 Arbeitstagen sind das 2.925 DM, und wenn zwei Kinder da sind, 3.315 Mark netto, freilich werden keine Sozialbeiträge bezahlt. Das kann gegenüber den sonst regelmäßig gezahlten Erschwernis- und Schichtzulagen eine Einbuße von einigen hundert Mark bedeuten. Doch ein paar Monate lässt sich das schon durchhalten. Und die Streikkasse der ÖTV-Hauptverwaltung in Stuttgart ist gut gefüllt, nachdem bei den bundesweiten Tarifverhandlungen kein Streik stattgefunden hat.Entsorgungsprobleme gibt es übrigens bisher nicht. Der Bonner Müll wird nach offizieller Version auf die Deponie Mechernich in der Eifel gebracht. Unter den Streikenden wird aber auch gemutmaßt, dass die LKWs schon mal zur benachbarten Verbrennungsanlage in Köln fahren: Sie leidet nicht nur wie die Bonner an Unterauslastung, sondern sie gehört zum Teil auch schon dem Müllmonopolisten Trienekens, der den Müll zwischen dem Niederrhein über Neuss und Köln bis Bonn weitgehend im Griff hat.Seit dem 13. Juli wird über eine »Ver ein barung« mit den von der ÖTV geforderten Eckpunkten verhandelt. Zur Entschärfung wurden die Begriffe »Tarifvertrag« und »Betriebsvereinbarung« vermieden. Doch die SWB-Führung verschanzt sich weiter hinter der Behauptung, »die Bonner Politik« habe noch kein Mandat erteilt. Die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) verabschiedete sich mittlerweile in den Urlaub. Vorher hatte sie argumentiert, sie wolle sich nicht in die »Unabhängigkeit der Tarifparteien« einmischen. Sollte eine Vereinbarung zwischen den Tarifparteien und dem Betriebsrat zustande kommen, steht eine erneute Urabstimmung an. »Bis dahin wird der Streik fortgesetzt«, so Rolf Kluge. Hans Krämer, Betriebsratsvorsitzender der Müllverbrennungsanlage: »Immerhin ist endlich Bewegung auf der Arbeitgeberseite zu verzeichnen. Der Weg zu einer Vereinbarung ist noch weit.«Anfang Juli bekamen die Streikenden Besuch von 50 Betriebsräten anderer Anlagen. Diese sollen in vielen Städten privatisiert werden. Der Betriebsratsvorsitzende aus Iserlohn, Karl-Heinz Demps, wies darauf hin, dass von den 65 Verbrennungsanlagen in Deutschland noch etwa zwei Drittel in kommunaler Hand sind. Bei den Umstrukturierungen werde überall versucht, »Tarife zu knacken«.