Eines Morgens sitzen sie in der Küche unserer Beiruter Wohngemeinschaft, Max und Lasse. Unbekannter Besuch ist nichts besonderes, es kommen und gehen oft junge Leute. Auf Durchreise sind hier viele. Aber diese beiden sind anders. Schon durch ihre Kluft fallen sie auf: Lasse, der Tischler, mit einem Käppi bekleidet, schwarzen weiten Schlaghosen, Weste und einer mit Knöpfen besetzten Jacke, ein weißes Baumwollhemd und eine graue Häkelkrawatte mit dem aufgestecktem silbernen Emblem seiner Gesellenvereinigung - auch Schacht genannt. Maxens Kleidung ist ähnlich, nur ohne Krawatte, dafür mit schwarzem Hut. "Die Freiheit braucht keine Krawatte" - so die Philosophie seines Schachts "Freie Vogtländer", erklärt er und knufft Lasse in die Seite. "So frei s
Fünf Mark und einen Stenz
Alltag Ausbildung einmal anders - zwei Handwerksgesellen auf der Walz durch die Levante
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i seid ihr doch gar nicht. In unserem Schacht sind Frauen zugelassen, bei euch nicht!" kontert Lasse. Sein Kompagnon hat einen eindrucksvollen Ring mit Schiffsanhänger am linken Ohr baumeln. "Falls ich unterwegs sterbe, will ich wenigstens ein anständiges Begräbnis - mit dem Silberring wird das dann bezahlt," meint der Schiffszimmerer und lacht. Das Loch ins Ohr wurde ihm buchstäblich hineingenagelt - vom Meister persönlich.Ein kleines Problem haben sie allerdings damit im Nahen Osten: Oft werden sie für Homosexuelle gehalten, die in den hiesigen Gefilden nicht gerade wohlgelitten sind. "In Syrien habe ich mir den Ohrring dann auch rausgenommen," entschuldigt sich Lasse. Ich bin beeindruckt. Was machen ein Schiffsbauer und ein Tischler im Nahen Osten auf der Walz? Die findet man doch nur in Deutschland und der Schweiz, wenn überhaupt. Aber in der syrischen Wüste oder in Damaskus?"Zusammen mit uns sind ungefähr sechshundert Gesellen losgezogen, darunter auch so um die 60 Frauen," erzählt Lasse und zeigt mir ein Foto aus seinem Wanderbuch, der Fleppe, das er sich in jeder Stadt abstempeln lässt, in der er bleibt. Einige Bedingungen müssen sie erfüllen, bevor die Gesellen auf Wanderschaft gehen: Ungebunden sein, Streitigkeiten bereinigt haben, keine Schulden - beinahe so wie muslimische Pilger, die sich nach Mekka begeben. Ehrenhaft eben. Bevor die Gesellen losgehen, fertigt sich jeder einen Stenz an, eine Art Wanderstock, der im Notfall auch als "Waffe" dienen soll. Dazu wird ein Haselnusszweig gewässert und in einer Vollmondnacht über dem Feuer zusammen mit den anderen Gesellen gedreht. Später bekommt der Stock eine eiserne Spitze - "zur Verteidigung", wie mir erklärt wird. Zuerst seien sie ungefähr ein Jahr lang in Deutschland umhergewandert, hatten bei Bauern übernachtet, in Punker-WGs oder im Pfarrhaus. Dann ging es über Südosteuropa in die Türkei bis nach Syrien - immer per Anhalter, zu Fuß oder auf dem Schiff. Für den Transport sollte möglichst kein Geld ausgegeben werden, so der Brauch."In Syrien mussten wir unseren Wehrstock dann auch einsetzen. Wir hatten uns alte chinesische Fahrräder gekauft, um damit durch die Wüste zu radeln. Unterwegs wurden wir von Hunden angegriffen und ich war froh, dass ich so einen Stock dabei hatte," berichtet der Schiffsbauer. "Ja, spaßig war das nicht gerade," ergänzt Lasse Die Beduinen richten ihre Hunde darauf ab, die Herden zu schützen. Nachts greifen die dann auch schon mal unerwünschten menschlichen Besuch an. Aber letztendlich sei nichts passiert und ein bisschen Abenteuer muss schon sein. Von den Beduinen seien sie dann sehr gut aufgenommen worden. Wohl auch deshalb, weil sie sich auf einfachem Gefährt fortbewegten und nicht auf diesen Hightech-Mountainbikes wie viele anderen westliche Abenteuertouristen.Die hungrigen Gäste bekamen deftiges Fleisch, süßen Tee und übernachteten im Zelt. "Das war schon Klasse. Die Beduinen sind sehr stolze Menschen, aber auch sehr herzlich. Wir haben den ganzen Abend Witze erzählt und gelacht," so Lasse. Ihr Stenz sei vom Sippenältesten besonders bewundert worden. "Der ist damit den ganzen Abend durch sein Beduinenzelt stolziert, und von den einheimischen Handwerkern wurden wir immer wieder gefragt, wie man so einen gezwiebelten Stock anfertigt."Arabisch können die beiden kaum. Aber mit einem Lächeln und der einen oder anderen Skizze auf Papier geht es dann doch irgendwie. Es muss, denn die beiden sind ja nicht zum Vergnügen unterwegs, sondern sollen "schniegeln", also arbeiten, um bei fremden Handwerksmeistern etwas zu lernen. Aber das sei gar nicht so einfach hier, im Orient. Also doch Kommunikationsprobleme, aber nicht verbaler Art? "Im Nahen Osten gibt es eben nicht den Brauch der Ausbildung wie bei uns in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern", erklärt Lasse. Wenn der Vater Tischler ist, dann werden es seine Söhne ebenfalls. Und die fangen bereits mit sieben, acht Jahren an zu arbeiten. "Nach zwanzig, dreißig Jahren sind sie halt Meister ihres Faches - ohne Innung und Zertifikat, sondern einfach dank ihrer Erfahrung. Und noch etwas ist sehr interessant:" fährt Lasse fort, "Der Vater gibt jedem Sohn nur ein Berufsgeheimnis mit auf den Weg. Warum? Ganz einfach. Damit sie später nicht miteinander konkurrieren, sondern sich auf verschiedene Sparten spezialisieren.""So etwas ähnliches gab es auch mal bei uns in Deutschland", nimmt Max den Gesprächsfaden seines Wandergesellen auf. "Die handwerkliche Tradition mit all ihren kleinen Geheimnissen ging vom Vater auf den Sohn über. Und wer einen Meister zum Vater hatte, musste auch nicht auf die Walz." Die Wanderschaft der Gesellen diente nicht nur deren Ausbildung, sondern sollte die Alteingesessenen vor unerwünschter Konkurrenz schützen. Mindestens drei Jahre und einen Tag mussten die Gesellen unterwegs sein und durften ihrer Heimat nicht näher als 50 Kilometer kommen - in der Hoffnung, sie würden sich am Ende irgendwo anders niederlassen. "Nur die Söhne eines Meisters blieben zu Hause - und der Betrieb damit in Familienbesitz."Lasse wollte in Damaskus lernen, wie man Intarsien legt. Leider ist er damit komplett gescheitert, weil niemand bereit war, ihn für zwei Wochen als Praktikant aufzunehmen. Überhaupt fiel es den heimischen Handwerkern sehr schwer zu verstehen, wie man als wohlhabender Deutscher in so ein armes Land wie Syrien kommt, um dort zu arbeiten. Den ganzen alten Basar habe er in Damaskus abgesucht, einen Handwerker nach dem anderen gefragt, ob er bei ihm lernen könne. Aber er stieß nur auf Ablehnung. "Das ist sehr schade, denn die Syrer sind sehr gute Handwerker," bedauert der Tischler. Aber irgendwie versteht er seine Kollegen auch. "Wenn man dort dreißig Jahre lang lernen muss, um als anerkannter Intarsienleger zu gelten, ist es sicher schwer nachzuvollziehen, wenn da jemand ankommt und sich diese Fähigkeiten in ein paar Wochen aneignen möchte." Lasse weiß, dass dies auch gar nicht ginge. Um diese Kunst zu erlernen, brauche es schon seine Zeit. "Aber wenigstens ein bisschen reinschnuppern wollte ich. Schade."Mit der orientalischen Mentalität hatten beide anfangs ihre Probleme. "Ein junger Handwerksmeister wurde richtig wütend auf uns, als wir ihm sagten, dass wir beide die einzigen Söhne der Familie sind," berichtet Max. Er konnte nicht verstehen, dass sie ihre Eltern für mehrere Jahre im Stich lassen. "Erst als wir ihm sagten, ein Schwager würde sich um die Eltern kümmern, beruhigte er sich. Aber natürlich war das gelogen." Auch mit dem Religionsverständnis der Einheimischen hatten Max und Lasse so ihre Schwierigkeiten. "Bis wir endlich verstanden hatten, dass die Moslems nichts mit Atheismus anfangen können, waren wir schon in einige Fettnäpfchen getreten", erzählen sie. Und Frauen kennen zu lernen, sei hier gleich ganz aussichtslos. "Wir sind zwar nicht auf Affären aus, aber wenn es mal funkt, ist mehr auch nicht drin. Wir ziehen ja alle paar Wochen oder Monate weiter." Drei Jahre ohne feste Freundin, das nervt schon, geben sie zu.Probleme haben die beiden auch mit ihrer zünftigen Kleidung. "In Deutschland wissen die Leute eben, dass wir auf der Walz sind, dass wir eine Unterkunft suchen und arbeiten wollen. Hier versteht das keiner und wir müssen das immer wieder versuchen zu erklären", erzählt Max. Aber das sei eben so schwierig, selbst wenn sie ausnahmsweise mal einen Übersetzer haben. "Und den Leuten hier immer wieder klar zu machen, dass wir keine durchgeknallten Cowboys aus Texas sind, geht uns inzwischen ziemlich auf die Nerven." Am liebsten würden sie hier ohne ihre Kluft herumlaufen. Aber die traditionelle Kleidung hat den tieferen Sinn, Aufmerksamkeit zu erregen. Denn nur durch diese Kontakte bekommt man Essen, ein Dach über dem Kopf und auch Arbeit."Mit der Kluft steht man über den Dingen. Eines Tages waren wir beim deutschen Botschafter eingeladen, der hat uns dafür gelobt, dass wir heimische Tradition pflegen. In Deutschland fanden uns vor allem die Punks klasse, weil wir Menschen von der Straße sind, ohne Geld und Besitz." Die Kleider auf dem Leib, eine weitere Kluft zum Arbeiten, etwas Unterwäsche und ein paar Hemden - das ist alles, was sie in ihrem Bündel haben. Der Brauch besagt auch, dass man nur mit fünf Mark loszieht und auch mit fünf Mark wieder kommt. Reichtum anzuhäufen, ist eher verpönt. Eine Krankenversicherung haben Max und Lasse trotzdem - alle anderen Sicherheiten der westlichen Zivilisation blieben zurück. Von einem Tag zum anderen zu leben, nicht genau zu wissen, was einen erwartet, kommt der arabischen Mentalität ziemlich nah."So ein richtiger Erfolg ist unsere Orient-Tour leider nicht geworden - obwohl alles sehr interessant war", meint Max. Von Land und Leuten hätten sie viel gelernt, vom Handwerk eher wenig. Bald werden die beiden den Dampfer nach Zypern nehmen und dann geht es über Griechenland zurück nach Hause. Bis dahin arbeiten sie in einem palästinensischen Tischlereibetrieb in Beirut und zimmern Schreibtische für eine Schule. Beruflich bringen sie solche Jobs aber nicht weiter. "Das war bei den Buren in Namibia ganz anders - die schätzen deutsches Handwerk und ich hatte immer Arbeit", erzählt Max. Dennoch könne er im südlichen Afrika nicht leben, wegen der Rassenunterschiede, obwohl die Apartheid offiziell abgeschafft ist. Und die Erfahrung im Orient wollen sie nicht missen - vor allem die Fahrradtour durch die syrische Wüste nicht. "Auf eines freue ich mich besonders: nach drei Jahren eine Tür zu haben, die ich zumachen kann, und ein Zimmer, das meines ist," meint Lasse zum Schluss. Dann setzt er das Käppi auf, nimmt den Stenz, schreibt uns seine E-Mail-Adresse auf einen Zettel - so viel Zivilisation muss dann doch sein - und verschwindet mit seinem Kompagnon in Richtung Hafen.
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