Vorschläge Das Wintersemester hat begonnen. Die Freiburger Romanistin Eva Erdmann erinnert daran, dass die Schule jetzt vorüber ist, und plädiert für mehr Spezialwissen
Ist das allen klar? Studieren verlangt anderes als das, was man bisher so gemacht hat, etwa zur Schule gehen. Viele Studierende, die an eine deutsche Universität kommen, wissen das nicht. Nachdem ein Zivil- beziehungsweise Wehrdienst in der Bundesrepublik komplett abgeschafft wurde, fließen Schule und Studium nahtlos ineinander über. Unmittelbar vor ihrem ersten Semester saßen die meisten Studierenden daher noch auf der Abiturprüfungsbank. Wenn sie sich dann auch noch für ein Lehramtsstudium entscheiden, das ein breites Spektrum an Fächern anbietet, sitzt Schule sehr fest in den Köpfen.
2. Akademisches Arbeiten statt Reproduktion
Aber Schule und Studium haben nichts miteinander zu tun. Wer das genau ergründen will, m&
miteinander zu tun. Wer das genau ergründen will, müsste eine systemtheoretische Perspektive einnehmen – also vorher Soziologie studieren. Umso dringlicher ist es, die Kluft, die zwischen den Spezialgebieten (ob Ökonomie, Philologie, Jura …) und den Elementartechniken liegt (ob Bücher lesen oder Bilder sehen, Sätze schreiben oder Zahlenkolonnen addieren …), sofort aufzuzeigen. Es kommt sonst zu erheblichen Schwierigkeiten, wenn das Umschalten zu lange dauert. Wenn der Bachelor als Turbo-Studium funktionieren soll, muss die Umstellung auf das Arbeiten mit Spezialwissen statt schulischem Lernen beschleunigt werden. Manche – weitsichtige – Gymnasien beginnen damit in der Oberstufe und üben das, was sie Vertiefen nennen, also auch mal eine Sache gründlicher wissen wollen, statt auf Anhäufung und Reproduktion von Jahreszahlen oder Allgemeinwissen zu bestehen.3. Copy-and-Paste als gesellschaftlicher IrrtumZu viele halten hartnäckig daran fest, dass die Universität nur die Fortsetzung der Schule sei. Obwohl dieser Irrtum bereits umfassend kontraproduktive Konsequenzen nach sich zog. Noch unheimlicher als die ausreichend dokumentierten Copy-and-Paste-Praktiken war die Uneinsichtigkeit, mit der darauf bestanden wurde, nichts falsch gemacht zu haben. Erst mit einem hermeneutischen Gespür, also mit Fachwissen, würde auch diese Art von öffentlichem Starrsinn wieder verständlich: Tatsächlich wird allerorten Leistung mit Reproduktion verwechselt und viel Reproduktion mit viel Leistung. Über akademische Abschlusswerke, die sich als „tüchtige Arbeit“ herausstellen, jedoch weder eine akademische noch intellektuelle Kompetenz abbilden, mokierte sich schon Walter Benjamin: Es reiche nicht aus, „Stoffmassen hin und wieder glücklich zu kombinieren.“ Das war vor 100 Jahren.4. Spezialisierung statt StarrsinnWas aber für das Grundschulalter gilt, wo es darauf ankommt, sich Stück für Stück die Elementartechniken anzueignen – ein a hat nun mal einen Seitenstrich, sonst ist es handschriftlich von einem o nicht zu unterscheiden –, kann nicht bis ins hohe Lebensalter fleißig geübt werden. Dafür gibt es verschiedene Lebenszeiten oder eben verschiedene akademische Grade.Wie scheinheilig, dass bei Grundschulkindern jede Besserwisserei jederzeit erlaubt ist, wenn etwa die Buchstaben mal verdreht sind, während darüber, was Spezialwissen gesellschaftlich leisten kann, öffentlich nicht nachgedacht werden darf. Es ist doch spannend zu erfahren, dass Schulden in ökonomisch funktionierenden Kreisläufen sinnvoll sind, dass es Gesetze gibt, die dem Einzelnen weitaus mehr Privatheit als vermutet erlauben, oder dass Dekonstruktion nichts mit Kaputtmachen zu tun hat.Dabei gehen die Elementartechniken keineswegs unter, sondern bleiben lebendig. Selbst das Abschreiben kann als eine Kulturtechnik nützlich sein. Derselbe Walter Benjamin empfahl es als Überbrückung bei Einfallslosigkeit. Er ging davon aus, dass sich beim mechanischen Abschreiben von Vorlagen alsbald die Langeweile einstellt und das Weiterschreiben mit eigenen Formulierungen den Mechanismus der Reproduktion überschreitet. Zweifellos eine sehr optimistische Sichtweise.5. Denkmäler der debilen WissenschaftDem einfallslos alltagsdebilen Wissenschaftler haben Literatur und Film die schönsten Denkmäler gesetzt. Wolfgang Herrndorfs Roman In Plüschgewittern berichtete vor rund zehn Jahren von der Freundschaft des Erzählers zu einem gewissen Desmond. In dieser Figur wurde eine produktive Intelligenz dem Ghostwriter übertragen. Seinem Freund vertraut der Protagonist blind, auch wenn der in der Geschichte auf einzelne Partyabende manchmal verzichten muss, wenn er für Geld eine weitere Promotion rasch fertig schreiben muss. „Wenn man Desmond in sieben oder acht Stücke hauen würde, könnte man ein paar ordentliche Geisteswissenschaftler aus ihm gewinnen.“ Ha, ha, ha.Leibhaftiger wurde der Akademiker als Pappfigur in Larry Gopnik auserzählt. Der Serious Man der Brüder Coen war 2009 in den Kinos, die Geschichte war in die späten Sechziger des 20. Jahrhunderts versetzt. Dem Serious Man widerfährt sein Beruf, er ist Physikprofessor, es ist wie ein Schicksalsschlag, weder versteht er „the dead cat“, ein Experiment der Quantenphysik, das er im Hörsaal vermittelt, noch kann er sich gegen die Bestechung finanzkräftiger Studierender, die durch die Klausur gefallen sind, wehren. Von Scheidung, drogen- und konsumaffinen Kindern und Entlassung abgesehen.Schließlich haben auch die Medien das Thema einer maroden Wissenschaft aufgegriffen, und unisono betiteln die Feuilletons die Uni als „Hochschule der Hochstapler“. Zu ausdifferenzierten Feldern arbeitsteiliger Gesellschaften gehört es aber auch, dass sie sich zeitlich verschieden entwickeln.Wenn Medien heute die Einzelfälle akademisch einfallslosen oder gar betrügerischen Arbeitens als einen Generalverdacht in ihre Kopfzeilen stellen und über die Universitäten ausschütten, kann davon ausgegangen werden, dass diese Phänomene durch die Wissenschaft längst hindurchgefegt sind und dortselbst andere Alltagspraktiken vorherrschen. Die meisten Hochschullehrer sind weder Hochstapler noch Betrüger.6. Stoppt das WissenschaftsbashingWer die Chronologie des Wissenschaftsbashing Revue passieren lässt, erinnert sich an den Versuch der Bundeskanzlerin Angela Merkel, einen weiteren Minister, dessen akademischer Grad durch Plagiate erworben war, mit der an die Öffentlichkeit gerichteten Bemerkung im Amt zu halten, sie habe „einen Politiker und keinen wissenschaftlichen Assistenten“ eingestellt. Auch das ein netter Versuch, den Menschen aus dem sogenannten realen Leben den Akademismus als Phantasieland vorzuführen. Was für ein Bild des Assistenten wird da eigentlich transformiert? Ein glückliches Zeichen darf diese Äußerung resoluter Sprachgewalt deshalb genannt werden, weil die durchschaubare Rhetorik der Diskreditierung gesellschaftlicher Arbeitsfelder außerhalb der Politik ins Leere sprach. Der Verteidigungsminister musste entlassen werden. War das die Wende?7. Hört nicht auf die ElternGenug gebasht, würde ich sagen. Die Tage der auffassungsbegrenzten Akademiker sind ebenso vorbei wie die des Tafelunterrichts und einer aufgebrezelten Wissenschaft. Denn neben der Systematik der Lehre und Studiengänge wurden auch die Besoldung der Professuren und die Struktur des Mittelbaus umgebaut. Die Uni ist von oben bis unten reformiert und dadurch für eine bestimmte Anwärterschaft sowohl als Bildungsanstalt wie als Arbeitsplatz unattraktiv geworden. Wie die Schule übrigens auch musste die Uni sich den gesellschaftlichen Dynamiken anpassen, die sich eine Reproduktion älterer Modelle, seien sie noch so erfolgreich gewesen, nicht leisten kann. Innerhalb dieses Umbaus erledigen sich selbst die Fußstapfen der Eltern als sicheres Fahrwasser. Sie geben den schlechtesten Ratschlag ab, den man einem Nachwuchs einer mobilen Gesellschaft geben könnte.Man muss nicht auf die Scholastik zurückgreifen, also den mittelalterlichen Akademismus, um das Arbeiten an der Uni vom Lernen an der Schule begrifflich zu trennen. Gleichwohl gibt es sie, jene postscolare Selektion, die Techniken des Richtigmachens und Nichtverstehens von Techniken der Überlegung, der Reformulierung und konzeptuellen Entdeckung auf der Grundlage von fachwissenschaftlichen Techniken und spezifischem Wissen unterscheidet. Um diejenigen, die den Teller von sich wegschieben und kippelnd „nein, diesen Text les ich nicht, versteh ich nicht, will ich nicht“ blöken, zu unterscheiden von jenen, für die eine solch primanerhafte Schelte so viel bedeutet wie Eulen nach Athen tragen.
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