Gegen Schröblair

Bewegung in die Parlamente Die britische Wahlalternative "Respect" und ihre deutschen Schwestern

Gewerkschaftssekretäre brechen offen mit ihrer früheren Partei, Intellektuelle schließen sich der neuen Opposition an, beim weltweiten Antikriegstag im Februar 2003 demonstrieren über zwei Millionen Menschen in London. Der international renommierte Filmregisseur Ken Loach bringt auf den Punkt, was sich in der britischen Politik verändert hat: "Es gibt keine demokratische Vertretung für arbeitende Menschen mehr. Diese Labour-Regierung hat einen illegalen Krieg durchgeführt, die Rechte von Asylbewerbern missachtet, und sie ist zu einer Vertreterin der großen Konzerne geworden. Wir müssen eine lebensfähige Alternative zu New Labour aufbauen." Ein erster Schritt ist bereits getan: Im Januar gründete sich ein neues Bündnis, programmatisch "Respect" genannt.

Ihr bekanntester Repräsentant ist George Galloway, der Ende vergangenen Jahres wegen seines Friedensengagements aus der Labour-Fraktion des Unterhauses ausgeschlossen wurde. Er steht für die Kritik am Irak-Krieg und früher schon für die Kritik an den Giftgaseinsätzen durch Saddam Hussein - als viele seiner heutigen Gegner ihn noch als Freund des Westens hofierten oder Waffen an ihn lieferten. Dank dieser Tradition, die Galloway verkörpert, gehört Respekt vor den in Großbritannien lebenden Muslimen zum Gründungskonsens des neuen Bündnisses. Schon in den großen Antikriegsdemonstrationen fanden die Muslime solidarischen Schutz vor der seit Herbst 2001 anwachsenden Islamophobie der britischen Innen- und Außenpolitik.

Abstrahiert man von nationalen Besonderheiten, etwa den skandalösen Zuständen im britischen Gesundheitswesen, so sind die Übereinstimmungen zwischen "Respect" und den neuen Bündnissen, die sich in der Bundesrepublik formieren, nicht zu übersehen. Ganz ähnlich wie etwa die "Wahlalternative" oder die "Initiative Arbeit soziale Gerechtigkeit" fordert auch das britische Pendant die Besteuerung großer Vermögen und wendet sich gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. "Respect" verlangt ein kostenloses Bildungssystem und eine staatlich finanzierte und umfassende Gesundheitsversorgung. Zurückgenommen werden sollen die von der Thatcher-Regierung verfügten und immer noch bestehenden Antigewerkschaftsgesetze. Schutz von Flüchtlingen und Asylbewerbern ist ein anderes wichtiges Thema. Mit diesen Forderungen trat "Respect" nur knapp sechs Monate nach der Gründung bei der Europawahl an und bekam immerhin in zwei Londoner Wahlbezirken über 20 Prozent der Stimmen.

Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland entstehen wahlpolitische Alternativen im Spannungsfeld von Partei und Bewegung. Sie begreifen sich nicht als parlamentarische Krönung außerparlamentarischen Protests, sondern als Kooperation Gleichberechtigter mit differierenden Ansprüchen und Wirkungsfeldern, aber weitgehend ähnlichen und deshalb einigenden politischen Zielen. Ausschließlich links oder gar klassisch sozialistisch können derart breite Koalitionen in einer Zeit der neoliberalen Hegemonie nicht sein - wie Chris Bamberry betont, der als einziger britischer Teilnehmer im Mai am Gründungskongress der Europäischen Linkspartei teilnahm.

Etwa 10.000 Interessenten zählen die beiden bundesdeutschen Initiativen bislang. Wie eine gemeinsame politische Plattform entstehen könnte, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Während einer ersten bundesweiten Konferenz soll am 20. Juni in Berlin die inhaltliche Diskussion vorangetrieben werden. Mit der für Juli geplanten Gründung eines Trägervereins werden transparente Strukturen die im März ad hoc entstandenen Koordinationskreise ersetzen. Ab Herbst steht dann die Entscheidung an, wie eine dem Parteiengesetz genügende Alternative organisiert sein muss, um zur Bundestagswahl 2006 antreten zu können.

Infos: www.respectcoalition.org www.wahlalternative.de www.initiative-asg.de

Die Bundeskonferenz "Für eine soziale Wahlalternative" findet am 20. Juni von 11.00 bis 16.00 Uhr in der Humboldt-Universität Berlin statt. Ablauf und Programm siehe www.wahlalternative.de


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