Gegenwartet nicht

Kino Die Schlammschlacht bei Wikileaks gibt es nun als Film. Warum, weiß „Inside Wikileaks: Die fünfte Gewalt“ selbst nicht
Ausgabe 44/2013
Benedict Cumberbatch als WikiLeaks-Gründer Julian Assange
Benedict Cumberbatch als WikiLeaks-Gründer Julian Assange

Foto: Constantin Film Verleih

Der Untertitel des Films, der im Original sogar der Haupttitel ist (The Fifth Estate), macht ein großes Fass auf. Durch die Möglichkeit zum schnell verbreiteten Leak, so die These, wird der Bürger in Gestalt des Whistleblowers zur „Fünften Gewalt“. Zu Beginn ist Inside Wikileaks: Die fünfte Gewalt auch drauf und dran, sich für seine Titelbehauptung zu interessieren. In rascher Schnittfolge erzählt der Film eine Ultrakurzgeschichte der Medienevolution. Sie fällt aber plump und undifferenziert aus. Was folgt, beschreibt der „deutsche“ Titel genauer. Für die Implikationen der potenziellen Befreiung und Anonymisierung jedweder Information interessiert sich der Film nur noch in marktschreierischer Weise. Stattdessen wird schmutzige Wäsche gewaschen und Julian Assange kommt nicht gut dabei weg.

Der Impetus, etwas, das im Grunde noch Gegenwart ist, noch zu Lebzeiten als Fiktion wiederauferstehen zu lassen, ist seltsam genug. Der US-Sender HBO macht das seit Jahren mit einiger Virtuosität (Julianne Moore ist etwa die viel bessere Sarah Palin), aber da wird die fiktionale Rekonstruktion meist auf demselben Gerät konsumiert, auf dem man auch die Nachrichten sieht – das mischt sich also an angemessener Stelle in die Diskussion.

Daniel Domscheit-Brühl

Was aber tut die Geschichte von Wikileaks überlebensgroß im Apparat namens Kino? Diese Grundsatzfrage durfte man sich schon bei der Facebookverfilmung The Social Network (2010) stellen – die Antworten darauf, wie Aaron Sorkin (Drehbuch), David Fincher (Regie) und Jesse Eisenberg (Hauptdarsteller), fielen nicht immer ganz sinnlos aus. Bei Inside Wikileaks bleibt eigentlich nur Benedict Cumberbatch, der als Schauspieler gerade der heißeste Scheiß und aktuell auf dem internationalen Time-Cover zu sehen ist. Dank komplett unausgegorenem Buch (Josh „Hat auch mal für West Wing geschrieben“ Singer) und von wirren Impulsen gebeutelter Regie (Bill Condon) steht er mit seiner gebremst flamboyanten Assange-Mimikry aber auf verlorenem Posten. Und die Freude darüber, mediokre Darsteller wie Daniel Brühl und Moritz Bleibtreu jetzt noch in internationalen Produktionen sehen zu dürfen, hält sich ohnehin eher in Grenzen.

Es gibt Filme, die sagen: Ich bin Fiktion, und es kommt gerade darauf an, dass das, was sie zeigen, historisch nicht stimmt (also etwa: Tarantino). Die Macher von Inside Wikileaks aber behaupten: Es ist Fiktion, und es kommt nicht darauf an, ob es stimmt. Warum eigentlich nicht? Wer sich aufs Feld der jüngsten Historie begibt, kann sich weder aufs schlechte Gedächtnis noch auf höhere Wahrheit hinausreden. Gerade wenn das Erinnern und die Wunden noch frisch sind, steckt der Teufel im Detail, macht der Ton die Musik, ist das Timing entscheidend und gibt es unterschiedliche Perspektiven. Der Kampf der Argumente, die genauen Abläufe und der Widerstreit der Kräfte und Mächte sind nicht Nebensache, sondern das Eigentliche. Wer sich stattdessen aufs allgemeinmenschliche Klein-Klein stürzt, der betreibt Kolportage.

Der Film investiert seinen Genauigkeitsfuror nur in den möglichst akkuraten Nachbau von Chaos-Computer-Club-Kongressen oder vergangenen Tacheles-Zeiten. Mit dem Ergebnis, dass beides furchtbar säuberlich nachgebaut aussieht. Das Timing wird, wo es in die Dramaturgie nicht passt, brutal passend gemacht, und erzählt ist das alles fast ausschließlich aus der Perspektive von Daniel Domscheit-Berg. Auf wikileaks.org kann man nachlesen, dass und warum Julian Assange das für Geschichtsklitterung hält. Viel entscheidender ist aber, dass der Film die Widersprüche in den Darstellungen weitgehend unterschlägt. Warum aber sollte man sich für eine vage Nacherzählung interessieren, die womöglich hinten und vorne nicht stimmt? (Kleiner Trost: In den USA ist der Film schon einer der schlimmsten Flops dieses Jahres.)

Kathryn Bigelows Zero Dark Thirty hatte eine brauchbare Entschuldigung in einem vergleichbaren Fall (Bin-Laden-Tötung): Der Film war toll inszeniert und besaß eine innere Schlüssigkeit, die sich auch der Nähe zum Genrekino verdankte. Von beidem ist Inside Wikileaks weit entfernt. Die Macher des Films haben keinen Sinn für Prioritäten und wissen nicht, worauf sie hinauswollen. Was bleibt: ein wenig Medienrevolutionspathos, ein wenig Sex, ein wenig West Wing für Arme, viel Psychokrieg, Virtualitätsvisualisierungsversuche für Klippschüler und eine auf Spannung getrimmte Fluchtepisode, die eher ein Argo-Outtake ist, als dass sie in diesen Film gehörte.

Inside Wikileaks: Die fünfte Gewalt Bill Condon 128 Min.

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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