Gerichtsshow im Krankenbett

Klinik-TV Warum Fernsehen im Krankenhaus keinen Spaß macht, Radio dagegen viel mehr

Ich liege im Krankenhaus und sehe fern. Das heißt, eigentlich sieht mein Bettnachbar fern, er hat den auf einer Wandhalterung unter der Decke montierten Bildschirm eingeschaltet, ich schaue nur ab und zu hin und genieße das stumme Fernsehen. Mein Bettnachbar hat seinen Kopfhörer in den elfenbeincremefarbenen Telefonapparat auf seinem Nachtschrank gestöpselt. Über das Telefon wird der Fernseher auch gesteuert. Seit ich hier liege, weiß ich, dass Fernsehen im Krankenhaus keinen Spaß macht. Erstens hängt der Monitor, ein schwerer, quadratischer Röhrenmonitor zu weit oben und zu weit weg, zweitens ist das Umschalten sehr mühsam. Für jeden Programmwechsel muss auf dem fast schon musealen Telefon eine kompliziere Tastenkombination gedrückt werden, woraufhin der Bildschirm sich verdunkelt – vier Sekunden später schon flackert das gewünschte neue Programm auf. Vier Sekunden können sogar im Krankenhaus sehr lang sein.

Ich schaue also nur ein wenig mit, ohne mich wirklich für das Fernsehen an diesem frühen Nachmittag zu interessieren. Ich wundere mich, dass in einer Werbepause vier von fünf Spots Reklame für Webseiten machen. Bemerkenswert bis sonderbar, dass die Werbung für das neuere Medium Internet nun das alte Fernsehen finanziert. Wie ich da so liege, fällt mir ein, dass ich etliche Jahre zuvor, ich war fast noch ein Kind, in so einem Krankenzimmer ein großes Fernseherlebnis hatte. Ich lag da und sah die Raumfähre Challenger explodieren, immer wieder. Heute kommt es mir vor, als sei schon damals klar gewesen, dass die Sache mit der Raumfahrt eine Zukunft von gestern war. Als ein paar Jahrzehnte später wieder ein Space Shuttle verglühte, ärgerte ich mich, als deswegen die Radio-Schlusskonferenz der Fußball-Bundesliga unterbrochen wurde.

Ich drehe mich zur Seite und schaue aus dem Fenster. Keine Lust mehr auf die Gerichtshow, die da oben auf dem Bildschirm läuft. Eine Show, die mir allerdings, ich gebe es zu, in der ein oder anderen schlaflosen Nacht gegen vier Uhr morgens auch schon mal gefallen hat. Ich stecke mir einen der beiden Kopfhörer meines Mobiltelefons ins Ohr, schalte das Radio ein und höre, das ist das Glück und der Luxus des Berliner Äthers, BBC World Service. Später höre ich National Public Radio (NPR), dann RFI (Radio France International), alle über UKW – und mir kommt es vor, als stünde mein Krankenbett irgendwo in Ex-Besatzungsmächtistan. Das Akronym UKW, fällt mir bei dieser Gelegenheit auf, scheint fast ausgestorben zu sein. Lange jedenfalls habe ich niemanden mehr UKW sagen hören, man liest und hört nur noch von FM, eine Abkürzung, die mich immer an SM denken lässt. Ich schlafe ein, während eine weibliche Stimme mir auf Französisch Dinge ins Ohr säuselt, die ich kaum verstehe und träume dann von einem Online-Krankenhausunterhaltungssystem mit allen Wunschfilmen im Nachtschrank, ausklappbar, wie es sie in neueren Flugzeugen gibt. Ich wache auf, als der alte Fernseher auf seiner Wand­halterung laut zu brummen anfängt. Das macht er in den letzten Tagen öfter.


David Wagner ist Schriftsteller. Er lebt in Berlin. Sein Roman Vier Äpfel stand 2009 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.

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