Es könnte ein heißer Herbst werden. Im September ist die britische Regierung aufgerufen, über ein Gutachten zu entscheiden, das der Leiter des britischen Gesundheitsamtes, Liam Donaldson, im Mai diesen Jahres - unter strenger Geheimhaltung - an die zuständigen Minister weiterleitete. Sein Gegenstand, das Klonen menschlicher Embryonen zu therapeutischen Zwecken, war allerdings angetan, die englischen Diskretionsschwellen zu ignorieren. In diesem Fall bot sich dem britischen Wissenschaftsminister, Lord Sainsbury, die Chance, sich politisch zu profilieren, als er vor zehn Tagen in einem "privaten", von der Sonntagszeitung Observer verbreiteten Interview, durchblicken ließ, dass der regierungsbestellte Gutachter die bedingte Freigabe der Klonforschung anrege.
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e.Nach dem öffentlichen Wirbel um das Klonschaf "Dolly" hatte die englische Regierung vor zwei Jahren ein Moratorium verhängt und - nicht zuletzt aufgrund heftiger Proteste seitens der Kirche - die Gentech-Sprinter in Oxford und Edinburgh zurückgepfiffen. "Alles nur Politik", wie ihr in der schottischen Hauptstadt forschende Fackelträger Austin Smith, Inhaber des umstrittenen Genpatents E 069351, kürzlich achselzuckend bemerkte; er jedenfalls habe nicht vor, seine Zeit damit zu verschwenden.Zeit ist bekanntlich knapp in der heiß umkämpften Biotech-Branche. Eben deshalb könnte das auf den britischen Inseln aufgeheizte Hoch auf das bislang noch kühle Festland nach Deutschland ziehen und auch der grünen Gesundheitsministerin Fischer einen heißen Herbst bescheren. Dieser Tage kündigte nach einigem internen Hin und Her die Deutsche Forschungsgemeinschaft an, ihre strikte Ablehnung der Klon-Experimente an menschlichen Zellen zu überdenken.Im Tagesspiegel ließ deren Vizepräsidentin, die Berliner Mikrobiologin Bärbel Friedrich, verlauten, dass für die staatliche Geldgeberin Menschen-Experimente à la "Dolly" zwar weiterhin "nicht diskutabel" seien, aber der hierzulande im Reagenzglas anfallende Embryonen"abfall" kontrolliert für Forschungszwecke freigegeben werden müsse. Für den September kündigt die Funktionärin deshalb eine "revidierte Stellungsnahme" der DFG zum Thema Stammzellen an: "Meine persönliche Meinung", so Friedrich, "ist, dass das Embryonenschutzgesetz streng geregelte Ausnahmen zulassen sollte".Nun ist diese Diskussion in der Forschungsgemeinschaft nicht neu, weil der Tatbestand, dass sich die deutschen Forscher - und derzeit übrigens auch die britischen, wie Ingrid Schneider kürzlich in der taz enthüllte - demnächst aus dem Ausland, insbesondere aus den USA, mit Embryonen versorgen könnten, als unhaltbar empfunden wird. Unter Umgehung des deutschen Embryonenschutzgesetzes führen staatliche und private Forschungslabors frisches Embryonenmaterial, das bei Abtreibungen oder In-vitro-Fertilisation anfällt, in die Bundesrepublik ein (zu den medizinischen Aspekten der Stammzellenforschung vgl. Freitag 27/2000).Aber nicht etwa an dieser Doppelmoral entzündet sich - berechtigterweise - Friedrichs Kritik, sondern an der vertragsmäßigen Abtretung der Verwertungsrechte. Die deutschen Forscher müssen vor Lieferung nämlich alle Anwendungsrechte ihrer Forschung an die amerikanischen Bereitsteller abtreten; darüber hinaus, so die Vizepräsidentin, verpflichte sich der "Bezieher" von Embryonalzellen, alle Forschungsaktivitäten zu unterlassen, die dem Lieferanten nicht in den Kram passen.Im Klartext: Die amerikanischen Zwischenhändler von Stammzellen versuchen auf diese Weise, die (europäische) Konkurrenz auszuschalten, eine - jedenfalls vom beschränkt nationalen Standpunkt aus betrachtet - unerfreuliche Situation, selbst wenn die Stammzellenforschung heute viel mehr verspricht, als sie halten wird: "Ob wir jemals Organe in einer Schale züchten können", räumt selbst der selbsternannte "Visionär" Smith ein, "lässt sich noch gar nicht absehen."Hintergrund der Auseinandersetzung um die Stammzellenforschung sind die unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen in den einzelnen Ländern: Während in den USA zwar keine öffentlichen Forschungsgelder für Embryonenforschung bereitgestellt werden, sind Wissenschaftler, soweit sie sich private Geldgeber verpflichten können, weitgehend frei von rechtlichen Restriktionen. In Großbritannien, der Bundesrepublik, Frankreich und weiteren europäischen Ländern wird zum Teil heftig um die rechtlichen und ethischen Aspekte der Stammzellenforschung gerungen.Der durch den britischen Vorstoß aufgeheizten Debatte versuchen besonnenere Befürworter der Stammzellenforschung beschwichtigend zu begegnen: Sie verweisen darauf, niemand denke daran, Zellen von abgetriebenen Föten zu Forschungszwecken missbrauchen oder gar einen ganzen Menschen klonen zu wollen; vielmehr werde "nur" daran gedacht, aus erwachsenen ("adulten") Zellen Embryonen herzustellen und diese in ein weibliches Spenderei einzusetzen.Schöne neue Welt, die sich vorstellt, eine "Gewebebank für jeden Bedarf", von der "Lungenkrankheit bis zur Diabetes", bereitzuhalten, wie der britische Observer phantasiert. Keinen Gedanken verschwenden Wissenschaftler und ihre journalistischen Sprachrohre in der Regel daran, dass die "leeren Eizellen", von denen allenthalben in den Gazetten die Rede ist, irgendwoher kommen müssen, "geerntet" sein wollen, wie es die Gärtnersprache der Gentechnologen so hübsch ausdrückt.Noch ist in der Bundesrepublik und in den meisten Ländern der EU die Eizellenspende nicht erlaubt, auch nicht zu Zwecken der künstlichen Befruchtung; Eizellen und Samen werden unterschiedlich behandelt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Müttern und Kindern soll die gespaltene Mutterschaft erspart werden, außerdem ist die Gewinnung überzähliger Eizellen mit erheblichen medizinischen Risiken verbunden. Aber woher sollten die züchtungsvernarrten Forscher diesen Rohstoff gewinnen, wenn nicht von gesunden, fortpflanzungsfähigen Frauen? Doppelmoral muss sich auch vorwerfen lassen, wer zwar beredt den Embryonenschutz vertritt, die erwachsenen Frauen und ihre Würde dabei vergisst.Wie skeptisch die eigene Zunft die Verantwortung und Pietät der Forscher beurteilt, zeigt sich, wenn man ein wenig in den Annalen zurückblättert: Vor fast genau einem Jahr antwortete Jörg-Friedrich Hoppe, Präsident der Deutschen Ärztekammer, auf die Frage, ob demnächst ein geklontes Baby zur Welt käme, resigniert: "Ich hoffe es nicht, aber ich befürchte es." "Die Genesis?", attestiert Austin Smith im fernen Edinburgh, "das ist eine nette alte Geschichte."
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