Grüner Vordenker

Nachruf Zum Tod des US-Anarchisten Murray Bookchin (14.1.1921 bis 30.7.2006)

In den siebziger und achtziger Jahren war Murray Bookchin neben Noam Chomsky der wohl bekannteste zeitgenössische US-Anarchist. Sein Ökoanarchismus war für viele Anhänger der frühen Umweltbewegung ein notwendiges Gegengewicht zum Mystizismus Rudolf Bahros oder den autoritären Konservatismus eines Herbert Gruhl. Angefangen hatte Bookchin seine Laufbahn jedoch als Kommunist. Der am 14. Januar 1921 in New York City geborene Sohn einer russischen Emigrantenfamilie jüdischen Glaubens war ein typisches Kind der New Yorker Arbeiterbewegung. Die Großmutter hatte an der russischen Revolution von 1905 teilgenommen und war vor den Häschern der Reaktion in die USA emigriert. Die Mutter war als Anhängerin Lenins in der IWW (Industrial Workers of the World) aktiv. Schon mit neun Jahren trat Bookchin der kommunistischen Kinderorganisation der Jungen Pioniere bei und war bis 1935 in der Jungkommunistenliga aktiv. Während des Spanischen Bürgerkriegs meldete er sich zu den Internationalen Brigaden, die ihn aber als zu jung ablehnten. Beunruhigt von den Moskauer Prozessen wandte sich Bookchin zu dieser Zeit vom Stalinismus ab.

Als Stahlarbeiter in New Yersey beteiligte er sich an Gewerkschaftskämpfen und schrieb nach seinem Parteiausschluss im Jahr 1939 bis Ende der vierziger Jahre für trotzkistische Zeitungen. Als Mitglied der Automobilgewerkschaft gehörte Bookchin zunächst zu jener radikalen Basisbewegung, die das mit Roosevelt ausgehandelte Streikverzichtsabkommen ablehnte. Ein dreimonatiger Streik im Jahr 1947 markierte für den radikalen Arbeiterkämpfer den Anfang vom Ende der amerikanischen Arbeiterbewegung: "Die Gewerkschaftsdemokratie war zerstört. Die Präsidenten der Lokalsektionen wurden vom Betrieb bezahlt. Nicht die Gewerkschaft, die Firma bezahlte sie." In der "Periode tiefster Reaktion", wie der Ex-Kommunist die fünfziger Jahre nannte, wandte er sich deshalb von der Politik ab und entdeckte ein Thema, das ihn bis zu seinem Tod nicht mehr loslassen sollte: die ökologische Frage.

Während seine Warnung vor den Gefahren der Umweltverschmutzung in den USA zunächst beinahe keine Resonanz fand, machte er in der BRD damit Furore. Bereits 1953 publizierte er sein Buch Lebensgefährliche Lebensmittel unter dem Pseudonym Lewis Herber auf deutsch. Zur selben Zeit schrieb er engagierte Artikel gegen die amerikanische Wasserstoffbombe. Später entdeckte Bookchin die republikanischen Ideale des amerikanischen Traums als "sehr anarchistisch" und neigte dazu, die amerikanische Studentenbewegung der sechziger Jahre als neues revolutionäres Subjekt zu überschätzen. Bookchin engagierte sich im New Yorker SDS und gab die kurzlebige Zeitschrift Anarchos heraus. Mit Kommunisten, der internationalistischen Bewegung und dem radikalen Widerstand der Black Panther konnte der patriotisch Gesinnte zu dieser Zeit schon nicht mehr viel anfangen. Dafür wurde er zum Vordenker der amerikanischen Grünen und gründete bereits 1974 ein Institut für Soziale Ökologie im Bundesstaat Vermont.

Bookchins bekanntestes Buch ist unter dem Titel Die Ökologie der Freiheit (1985) im Beltz Verlag erschienen. Daneben veröffentlichte er in anarchistischen Kleinverlagen: beim Karin Kramer-, vor allem aber im Trotzdem-Verlag. Obwohl Bookchin sich immer wieder scharf von esoterischen Spinnern, New Age-Gurus und irrationalen Strömungen der Ökobewegung distanzierte, haben seine Kritiker zurecht betont, dass auch seine Bücher von Biologismen und mythologischem Firlefanz zuweilen geradezu strotzen. Geschlechterunterschiede werden darin regelmäßig naturalisiert, das weibliche Geschlecht im Rahmen spekulativer Geschichtsbetrachtungen gelegentlich auch sprachlich eskamotiert: "Es kam den Menschen [sic] nicht in den Sinn, die Natur zu beherrschen, solange sie noch nicht die Jugend, die Frauen, und schließlich sich gegenseitig beherrschten." Bookchins Kritik an allzu einfach gestrickten marxistischen Denkschablonen und autoritärem Parteikommunismus schüttete das Kind mit dem Bade aus, wenn er Klassenanalyse und politische Ökonomie einfach verwarf, anstatt ihre Methoden unter anti-autoritären Vorzeichen weiterzuentwickeln. Seine soziale Veränderungstheorie setzte idealistisch auf die allmähliche Ablösung kapitalistischer Herrschaft durch eine Parallelgesellschaft selbstverwalteter Kommunen und dezentraler Föderationen. Bookchin verstarb am 30. Juni im US-Bundesstaat Vermont.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden