Hardball

Kommentar Palästina und die Vereinten Nationen

Die UNO ist ins Gerede gekommen. Es steht schlecht um eine Institution, die einmal den Nukleus für eine Weltregierung bilden sollte. Als Hüterin des Völkerrechts scheint die Weltorganisation immer weniger gefragt. Was ist geschehen? Dank des von den USA proklamierten "Krieges gegen den Terror" konnte die Regierung Sharon den Freiheitskampf eines unterdrückten Volkes im amerikanischen Mehrheitsbewusstsein mit dem Stigma des "Terrorismus" versehen. Folglich erhielt Israel in den palästinensischen Autonomiegebieten wochenlang freie Hand - einzige Bedingung: Arafat musste am Leben bleiben. Zum eigentlichen Offenbarungseid der UNO kam es jedoch, als deren Generalsekretär die Untersuchungskommission, die sich mit den Ereignissen in Jenin beschäftigen sollte, wieder auflöste, bevor sie auch nur einen Schritt in das geschleifte Flüchtlingslager gesetzt hatte. Die UNO kapitulierte vor dem Veto Israels und der USA. Sie sorgte damit für einen Präzedenzfall, wie er für die internationale Gerichtsbarkeit verhängnisvoller kaum sein kann, bedeutet er doch, dass Gewalt vor Recht gehen kann. Für den gerade etablierten Internationalen Strafgerichtshof (ICC) ein schlechtes Omen. Wie anders als durch Ad-Hoc-Gremien nach dem Modell der Jenin-Kommission will das Tribunal künftig einen Teil seiner Recherchen betreiben? Wie sollen Juristen urteilen, wenn ihnen der Tatort verriegelt bleibt? Natürlich boykottieren die USA und Israel nicht ohne Grund den ICC. Sie befürchten wahrscheinlich, ihre Spitzenleute Bush und Sharon könnten sich dort begegnen.
Wie will die UNO nach diesem Rückzug überhaupt noch mit Autorität oder Glaubwürdigkeit aufwarten? Vermutlich wird sie erst wieder gefragt sein, wenn die USA den Irak angreifen. Zum Rahmenprogramm dürfte dann ein entsprechender Beschluss des Sicherheitsrates gehören, der unter den obwaltenden Machtverhältnissen kaum in Frage steht. Und wie wird die UNO reagieren, wenn eine Vertreibung der Palästinenser auf die Tagesordnung gerät? Sharon hatte gegenüber der Tageszeitung Ha´aretz schon im März 2001 davon gesprochen, dass der Krieg von 1948 noch nicht beendet sei. Seit Monaten wird in Israel öffentlich über eine Vertreibung diskutiert. Der Soziologie-Professor Baruch Kimmerling oder der Militärhistoriker Martin van Creveld prognostizieren ein solches Vorgehen als "Bestandteil" des Krieges gegen den Irak. Und Dick Armey, republikanischer Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus, ließ am 2. Mai 2002 in der MSNBC-Sendung Hardball wissen, es gäbe in diversen arabischen Ländern genügend Land, um einen Palästinenserstaat zu gründen. Auf die Frage, ob die Palästinenser ihre Gebiete wirklich verlassen sollten, meinte Armey: "Ich wäre glücklich zu wissen, dass die Palästinenser gehen." Auf Nachfrage, ob er tatsächliche so denke, antwortete Armey mit Ja. - Eine Umwertung aller Werte ist in vollem Gange. Der Unterdrücker wird zum Unterdrückten, der Angegriffene zum "Terroristen". Und die liberalen Demokratien stimmen dieser Weltsicht zu, indem sie nichts tun. Der Schaden, den diese Doppelmoral anrichtet, wird irreparabel sein.

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