Report Vom gepanschten Olivenöl bis zum Gift-Wodka: Das Geschäft mit gefälschten Lebensmitteln in Europa boomt und ist für Mafiabanden weit weniger riskant als Drogenhandel
Auf den ersten Blick wirkt der weitläufige Uni-Campus inmitten der malerischen Landschaft von Cotswolds nicht wie ein geeigneter Ort, um den Kampf gegen Italiens meistgefürchtetes Mafiasyndikat, die ’Ndrangheta, zu steuern. Und doch spielen die Labors des Lebensmittelforschungsverbands Campden BRI bei der Verfolgung des organisierten Verbrechens mittlerweile eine zentrale Rolle. In diesen Laboratorien werden keine Blutspuren oder Knochensplitter analysiert, sondern dort wird im Auftrag des britischen Agrarministeriums die Reinheit von Olivenöl geprüft. Seit März sollen neue EU-Regelungen sicherstellen, dass die Kunden wirklich das bekommen, was sie zu kaufen glauben.
Das sind schlechte Nachrichten für die ’Ndrangheta und andere Syndikate, die seit J
die seit Jahrzehnten im großen Stil minderwertige Olivenöle und andere Pflanzenöle zu „nativ extra“ umdeklarieren. Laut dem Ausschuss für Lebensmittelsicherheit im Europäischen Parlament ist Olivenöl der Spitzenreiter beim Etikettenschwindel – mit verlockenden Gewinnspannen. 100 Milliliter Tresteröl, mithilfe von Chemikalien aus Olivenabfällen gewonnen, bringen knapp 40 Cent ein. Die gleiche Menge „nativ extra“ lässt sich für 1,80 Euro verkaufen.„Olivenöl ist wertvolle Ware, und die Fälschungen häufen sich“, sagt Dr. JulianSouth, Direktor für Chemie und Biochemie bei Campden BRI. „Das Thema ‚Echtheit von Nahrungsmitteln’ wird immer größer. In allen EU-Staaten werden heute Olivenöle geprüft.“ In Deutschland übernimmt das das unabhängig und ohne Gewinnabsicht arbeitende Deutsche Olivenöl Panel (DOP); außerdem führen die zuständigen Behörden der Bundesländer Prüfungen durch und leiten die Ergebnisse an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit weiter.Jenny Morris, Hauptreferentin am Londoner Chartered-Institut für Umweltgesundheit, erklärt, warum sich das Öl für Betrug besonders anbietet: „Viele Leute sind bereit, für extra natives Olivenöl hohe Preise zu zahlen, weil sie an die Qualität glauben. Wenn Sie als Krimineller an Pflanzenöl herankommen, es muss nicht unbedingt aus Oliven sein, können Sie es mit ein bisschen Chlorophyll grün färben und damit reich werden. Die Vertriebswege machen das Vertuschen oft leicht.“Doch auch andere Erzeugnisse sind ähnlich fälschungsanfällig wie Olivenöl. So verbreitet wie lukrativ sind etwa: Honig mit Zuckersirup zu strecken, Wodka mit Methanol zu panschen, minderwertigen Reis mit Basmati zu mischen und billigen Wels als teuren Schellfisch zu deklarieren. Fachleuten zufolge sind solche Manipulationen der Nahrungskette für Betrüger weitaus risikoärmer, als Kokain mit Talkpulver zu strecken.Fisch und Meeresfrüchte„Bisher haben Kriminelle auf diesem Gebiet wenig zu befürchten, denn sie bekommen es normalerweise nicht mit spezialisierten Ermittlern zu tun“, fasste der britische Regierungsberater und ehemalige Scotland-Yard-Beamte Gary Copson die Situation kürzlich zusammen. Ein für Anfang Juni angekündigter Bericht der britischen Regierung wird deutlicher machen, in welchem Ausmaß kriminelle Organisationen die Vertriebsnetze der Nahrungsmittelindustrie durchdrungen haben. Mit dem Pferdefleisch-Skandal traten diese Verflechtungen im Jahr 2013 eklatant und europaweit zutage, und im Zuge einer Interpol-Operation wurden im Februar 2014 über 1.200 Tonnen gefälschter oder minderwertiger Esswaren und fast 430.000 Liter unechter Getränke konfisziert. In 33 Ländern wurden fast 100 Personen verhaftet, während die Beamten über 131.000 Liter Öl und Essig, 80.000 Kekse und Schokoriegel, 20 Tonnen Gewürze, 186 Tonnen Getreide, 45 Tonnen Molkereiprodukte und 42 Liter Honig beschlagnahmten.Die größte Menge an sichergestellten Gütern fiel in die Kategorie Fisch und Meeresfrüchte – unter anderem 484 Tonnen Gelbflossen-Thunfisch. Manche der aufgedeckten Betrügereien scheinen aus schlechten Romanen entsprungen. So hoben Ermittler in Italien ein kriminelles Netzwerk aus, das sich auf Herstellung und Vertrieb von falschem Champagner spezialisiert hatte. 60.000 Flaschen einschließlich gefälschter Etiketten wurden entdeckt, drei Personen verhaftet, 24 weitere angezeigt.Whisky und GammelfleischIn Bangkok sammelte die Royal Thai Police bei einer Razzia in einem Lagerhaus 270 Flaschen gefälschten Whiskys ein, samt Aufklebern, Etiketten und Schachteln. Philippinische Beamte konfiszierten 150.000 falsche Brühwürfel, während die französische Polizei in einem Pariser Vorort einen illegalen Schlachthof dichtmachte. In Spanien wurden 24 Personen wegen Verstößen gegen das Arbeits- und Einwanderungsrecht festgenommen, nachdem die Ermittler 4,5 Tonnen illegal gesammelter Schnecken sichergestellt hatten. Die britischen Behörden beschlagnahmten 17.156 Liter unechten Wodkas zu einem geschätzten Verkaufswert von einer Million Pfund, womit dem Staat Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von rund 270.000 Pfund entgangen wären.Fragt man nach den größten in Deutschland bekannt gewordenen Fällen von Lebensmittelbetrug, weist man bei Foodwatch e.V. sofort darauf hin, dass es eine öffentlich zugängliche und systematische Übersicht dazu nicht gibt. „Foodwatch fordert seit langem die verpflichtende Veröffentlichung aller behördenbekannten Betrugsfälle“, sagt Matthias Wolfschmidt, der stellvertretende Geschäftsführer des Vereins, der für die Rechte von Verbrauchern und für die Qualität von Lebensmitteln kämpft. Eine Aufzählung könne demnach nur unvollständig bleiben, wenn man aber alle Fälle berücksichtige, in denen wissentlich nicht-verkaufsfähige Ware zum Verkauf gebracht worden sei, ergebe sich folgendes Bild: alle Gammelfleisch-Fälle seit 2007 einschließlich des Wildfleisch-Skandals in Bayern, eben jener Pferdefleischskandal 2013, eine Vielzahl von Umdeklarierungsfällen von konventionellen zu Bio-Produkten und Fälle, in denen wie beispielsweise bei Spargel die Herkunftsangabe manipuliert wurde.Michael Ellis, der bei Interpol die Einheit für Warenfälschung und verbotenen Handel leitet, betont, die Operation schaffe erst ein Bewusstsein für die Bedrohung: „Die meisten Leute würden sich wundern, welche Lebensmittel des täglichen Bedarfs gefälscht werden. Und nun sehen wir, es handelt sich um ein Problem von globalen Ausmaßen.“Das Fälschen ist dabei jedoch nur eine Waffe im Arsenal der kriminellen Banden. In Mexiko hat das Drogenkartell „Die Tempelritter“ in den vergangenen Jahren zahlreiche Limettenfarmen im Gebiet Tierra Caliente übernommen. Damit kontrolliert es einen Großteil der Exporte in die USA, mit dem Ergebnis, dass der Preis für Limetten sich verdreifacht hat. Dasselbe Kartell nimmt nun den Avocadohandel ins Visier.Mitunter haben die kriminellen Eingriffe in die Nahrungskette fatale Folgen. So kamen 2012 in der Tschechischen Republik mehr als 40 Menschen durch methanolverseuchten Wodka und Rum zu Tode. Die britischen Behörden warnen, dass sich die beschlagnahmte Menge an gepanschtem Alkohol seit 2009 verfünffacht habe. Dabei werden immer wieder gefährliche Schadstoffe wie Isopropanol, Methanol und Chloroform nachgewiesen.Die Verwendung der Industriechemikalie Melamin, um in Baby-Milchpulver einen höheren Eiweißgehalt vorzutäuschen, führte 2008 in China ebenfalls zu Todesfällen, und zeigt zugleich, dass die Fälschungen technisch immer anspruchsvoller werden.„Der Einfallsreichtum ist erstaunlich“, sagt Stuart Shotton, Chefberater bei Food-Chain Europe, der wichtigsten Anlaufstelle für die Industrie in Sachen Lebensmittelsicherheit. „Da sind sehr schlaue Leute am Werk, Nahrungstechnologen, oft mit Erfahrung in der Branche, die mit wissenschaftlichen Methoden austüfteln, wie sich Produkte rentabler machen lassen.“Aus zwei Gründen, erklärt Shotton, sei das Fälschen von Lebensmitteln reizvoll für kriminelle Organisationen: „Entweder ein Produkt ist teuer und rar, und indem man bestimmte Bestandteile austauscht, lässt sich der Profit erhöhen. Oder aber es ist billig und wird millionenfach hergestellt – sodass man bei der Erzeugung nur einen Cent pro Einheit einsparen muss, um beim Verkauf große Gewinne zu machen.“ Shotton ruft die Lebensmittelindustrie dazu auf, sich ein Beispiel an anderen Branchen, etwa an Modemarken, zu nehmen, um sich gegen Fälscher zu schützen: „Wir haben keine Hologramme oder Wasserzeichen, aber vielleicht ist das die Richtung, in die wir denken sollten.“Noch mangelt es an Daten, um sicher zu sagen, wie hoch der Anteil mafioser Netzwerke am Lebensmittelbetrug tatsächlich ist. Oft stecken hinter den Fälschungen eher Kleinkriminelle als das organisierte Verbrechen. So wurde kürzlich ein in London ansässiger Importeur zu einer Geldstrafe von 17.000 Pfund verurteilt, weil er Sirup als Honig verkauft hatte. Doch auch die Aktivitäten kleiner Betrüger können weitreichende Folgen haben.„Zum Beispiel der Farbstoff ‚Sudan 1’“, sagt Jenny Morris vom Chartered-Institut. „Es waren kleine Chili-Erzeuger in Italien, die feststellten, dass sie für ihr Pulver mehr Geld bekamen, wenn es besonders rot war. Wie machten sie es also röter? Mit Industriefarbstoff.“Seit die britische Food Standards Agency 2007 ihre Datenbank für Lebensmittelbetrug einrichtete, steigt die Zahl der jährlich gemeldeten Fälle permanent an. Waren es anfangs 49, so gingen letztes Jahr schon 1.538 Meldungen ein. Ein Sprecher bestätigt, dass der größte Anteil – 16 Prozent aller Meldungen von 2013 – auf „ungenießbare Nahrungsmittel“ entfällt. An zweiter Stelle rangiert mit 14 Prozent gepanschter Alkohol, zumeist Wodka und Wein. Doch es liegt im Wesen der Lebensmittelindustrie, dass die Schwerpunkte der Fälscher sich schnell ändern können.Um einzuschätzen, für welche Produkte sich kriminelle Gruppen aktuell interessieren, lohnt sich ein Blick in die USA, wo die Non-Profit-Organisation Pharmacopeial Convention in einer Datenbank Medienberichte zum Lebensmittelbetrug sammelt. Von Fälschung im größeren Stil sind demnach in letzter Zeit Kurkuma- und Chilipulver betroffen, Speiseöl, Garnelen, Zitronensaft und Ahornsirup. Laut der Webseite foodqualitynews.com taucht keins dieser Erzeugnisse in den Top 25 der Lebensmittelfälschungen zwischen 1980 und 2010 auf.In ihrem erwarteten Bericht zur Lebensmittelsicherheit dürfte die britische Regierung der Industrie empfehlen, selbst „wie ein Verbrecher zu denken“, wenn sie kriminelle Machenschaften vereiteln will. In anderen Ländern ist das gängige Praxis.Öl und Büffelmozzarella„Die Italiener zum Beispiel“, sagt Jenny Morris, „haben es immer wieder mit Fälschungen bei Edelprodukten wie Büffelmozzarella oder Olivenöl zu tun. Also fragen sie sich: ‚Wo lässt sich am meisten Geld machen? Da setzen wir mit den Ermittlungen an.’ Die einzige Art, den Betrügern beizukommen, ist zu erraten, wo sie als nächstes zuschlagen, und genau dorthin die Überwachung zu richten.“Hilary Ross, die sich als Anwältin in der Wirtschaftskanzlei DWF seit 22 Jahren mit Lebensmittelbetrug beschäftigt und am Regierungsbericht mitwirkt, stimmt zu, dass ein neues Denken nötig sei: „In den letzten fünf Jahren sind die Lebensmittelpreise ebenso angestiegen, wie wirtschaftliche Instabilität und durch den Klimawandel bedingte Engpässe zugenommen haben. Unter solchen Umständen wächst auch die Gefahr von Betrügereien.“ Es gelte möglichst früh zu erkennen, welche Entwicklungen Kriminelle ausnutzen würden: „Wir brauchen gezielte Informationen und vorausschauende Analysen, nicht bloß von einzelnen Zuträgern, sondern im europäischen und internationalen Austausch, zum Beispiel, was drohende Missernten betrifft. Denn da keimt die Kriminalität.“Zudem fordert der deutsche Verein Foodwatch eine bessere Information der Öffentlichkeit: „Das effektivste Mittel gegen Betrug ist Transparenz aller amtlichen Kontrollergebnisse. Der intransparente europäische Lebensmittelmarkt ist eine Einladung für Betrüger und zunehmend für das organisierte Verbrechen. Das sagt auch Europol. Doch EU-Kommission und Bundesregierung nehmen das Problem nicht ernst.“ Die kriminellen Netzwerke ganz in Schach zu halten, sei jedoch unmöglich, gibt Jenny Morris zu bedenken: „Es kann nur darum gehen, ihnen zumindest die ganz großen Gelegenheiten zu vermasseln.“
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