Immer an dem Brand lang

Pogrome Burhan Qurbani hat die Bilder von Lichtenhagen in einen Spielfilm übertragen. Seine Faszination und sein Verständnis sind erstaunlich
Ausgabe 04/2015

Das Jahr 1992 war kein gutes. Für die Migranten und Asylbewerber in verschiedenen Städten zwischen NRW und Mecklenburg-Vorpommern. Hoyerswerda hatte schon stattgefunden, Solingen stand noch bevor; am 23. November brannten zwei Wohnhäuser türkischer Familien in Mölln und vorher, am 24. August in Rostock-Lichtenhagen, mehrere Stockwerke eines Wohnheims für ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam.

Man kann sich das schon länger auf Youtube anschauen: in den Bildern der Tagesschau, den Kompilationen von Spiegel TV, in Dokumentationen mit Titeln wie Als Rostock-Lichtenhagen brannte. Und man kann es jetzt bei Burhan Qurbani sehen, in dem Film Wir sind jung. Wir sind stark. Allerdings in Szenen, die den Bildern auf Youtube erstaunlich ähnlich sind, vom Sonnenblumenmosaik an der Hausseite bis zu den ausgebrannten Autos am Morgen danach.

Ikonografie des deutschen Brandanschlags: die Fassade, die zerschlagenen Fensterscheiben, das aufgebrochene Pflaster, das die Steine dazu liefert. Apis Imbissbude, die Klappstühle und Bierkästen auf dem Rasen, der gut gelaunte Mob und die Fernsehteams dazwischen. Später der Rauch (Feuer, Tränengas), die Brandsätze, die Wasserwerfer, Polizeieinheiten in Schutzkleidung und immer noch gut gelaunte Menschen, im Unterhemd, in Lederjacke, manchmal mit Hitlergruß.

Irgendetwas an dieser Ikonografie, die viel mit Dunkelheit, Scheinwerfern, flackerndem Feuerschein, Handkameras und ungeordneter Bewegung zu tun hat, muss es Qurbani angetan haben. Jedenfalls versucht er in den letzten 40 Minuten seines Films, sie nachzustellen, Rauchschwaden und Bomberjacken inklusive, Zeitlupe, wo es passt, und endlich doch noch in Farbe, nachdem die 80 Minuten zuvor programmatisch in Schwarzweiß gehalten waren.

Richtig böse Springerstiefel

Brandnacht, ganz große Szene. Dass alles darauf zusteuert, wird deutlich, wenn Wir sind jung. Wir sind stark beginnt, sich durch die Einblendung von Uhrzeiten auf das abendliche Ereignis zuzuzählen. Um andere Bilder geht es dabei nur insofern, als der frühe Abend des 24. August, der 1992 so hell war, wie ein Augustabend an der Ostsee eben ist, hier ziemlich früh in eine Amerikanische Nacht verwandelt wird, weil das Feuer dann noch mal besser rauskommt.

Davor, wie gesagt, Schwarzweiß. Gedrückte Stimmung, klar, nichts los auf den Straßen, die verwahrlost sind und ziemlich unbevölkert. Der Jugendklub ist zu, im bürgerlichen Haushalt (Klavier, Kunstplakate) fehlt die Mutter, im proletarischen (Friseursalon, Bierdosen) der Vater, und wer vor drei Jahren noch Arbeit hatte, weiß im langen Sommer nicht mehr, wohin mit sich. Ist natürlich schlimm für die Jungs, die sich unter anderen Umständen vielleicht anders entwickelt hätten. Der eine will nur wieder in die Werft, ein anderer ist sensibel, ein weiterer musikalisch begabt, der vierte hat wenigstens Asthma, und richtig böse kommt letztlich nur der in den Springerstiefeln rüber, der seiner Freundin im Treppenhaus eins auf die Nase gibt.

Wenn sich der Film mit einer Frauenfigur befasst, ist sie Vietnamesin, arbeitet fleißig in einer Wäscherei und träumt von unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung. Sie ist hilfsbereit, hat aber auch ein paar schlimme Sätze am Anfang, die darauf hinauslaufen, dass sie mit den Sinti und Roma in der Aufnahmestelle nichts zu tun haben will. Später sagt ihr Bruder: „Wir sind doch auch Menschen“; der anständige SPD-Mann (es gibt daneben einen zynischen, und den feigen spielt Devid Striesow) erklärt: „Wir haben eine Verantwortung als Politiker"; der netteste von den Nazis schreibt: „Ich will diese Wut in mir nicht mehr fühlen“, und wer so was mit einem Drehbuch verwechselt, ist tatsächlich selber schuld.

Burhan Qurbani hat bereits in seinem Berlinale-Beitrag Shahada (2010) Figuren zum Aufsagen von Meinungstexten durch einen Film geschoben. In Wir sind jung. Wir sind stark wird dieses Prinzip in eine Geschichte konvertiert, die davon erzählt, dass man hinter den Nazis auch mal die jungen Menschen sehen muss. Die Schauspieler sind entsprechend eifrig dabei. Und im Geschichtsunterricht wird man den Film sehr gern verwenden.

Wir sind jung. Wir sind stark Burhan Qurbani Deutschland 2015, 128 Minuten

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