Imperien unter sich

Geschichtsschau Man könnte sich zwar fragen, ob die USA gerade keine anderen Sorgen haben. Aber dafür ist die Ausstellung „Ancient Rome & America“ in Philadelphia zu atemberaubend

Die Vereinigten Staaten als Wiedergeburt des antiken Roms: Man möchte meinen, die Verwalter des amerikanischen Geschichtsbewusstseins hätten wichtigere Themen ins Licht der politischen Öffentlichkeit zu stellen, als die Selbstbespiegelung im alten Rom. Und doch geschieht im zentralen Historischen Museum am Geburtsort der Republik, dem National Constitution Center in Philadelphia, derzeit eben das: eine in ihrem Umfang einmalige Ausstellung Ancient Rome America – the classical Influence that shaped our Nation.

Mehr als 300 Objekte aus amerikanischen und vor allem italienischen Museen (Florenz, Neapel, Rom) werden hier zu einer Schau zusammengestellt, die man fast atemberaubend nennen darf. Das antike Rom als Vorbild der Gründungsväter ist keine neue Entdeckung der Historiker. Sie bietet sich bereits augenfällig an, wenn man das weitläufig-großartige Zentrum der aus dem Nichts geschaffenen Bundeshauptstadt Washington mit dem alles dominierenden klassizistisch-monumentalen Parlamentspalast überblickt: Der musste natürlich – wie das Herz der heute als archäologische Trümmerlandschaft zu besichtigenden Römischen Republik – Capitol heißen und seine mächtigste Kammer Senat.

Das Spannende für die gegenwärtigen Vereinigten Staaten besteht darin, dass dieses historische Selbstverständnis durch die große Ausstellung von Philadelphia eine besondere Aktualität gewinnt und mittels der eindrucksvoll präsentierten Artefakte augenscheinlich macht. Die Breite und Tiefe der Rom-Identifikation der frühen amerikanischen Kultur demonstriert in der Zusammenschau eine Ernsthaftigkeit, die jede Vermutung, es handle sich eher um eine Modeerscheinung, Lügen straft.

Amerikanischer Cincinnatus

Mich hat beispielsweise beeindruckt, wenn Abigail Adams, die bekanntermaßen kluge und politisch radikale Frau des zweiten Präsidenten, in ihren Briefen sich nicht nur ausführlich über römische Tugenden ausließ, sondern sie auch unterschrieb mit Portia, dem Namen der Frau des republikanischen Cäsar-Mörders Brutus. Oder wenn man Ciceros Buch über die Kunst der politischen Rede, De Oratore, mit den Anstreichungen des späteren sechsten Präsidenten John Quincy Adams vor sich sieht. Es wirkt hier auch authentisch, dass George Washington schon zu Lebzeiten als „amerikanischer Cincinnatus“ bezeichnet wurde, nach dem frührepublikanischen Römer, der das Vaterland gerettet und danach an seinen Pflug zurückgekehrt war, und er sich folglich so wie Thomas Jefferson oder Benjamin Franklin in Marmor und römischer Toga verewigen ließ. Zumal sich die Amerikaner neben den Originalen von Cäsar, Augustus oder Scipio Africanus nicht schlecht ausnehmen.

Und wer sich von dieser historisch-politischen Fragestellung angeregt in die Federalist Papers von Hamilton, Madison und Jay als Kommentare zur Verfassungsdebatte von 1787 einliest, der wird überrascht und beeindruckt sein von der Seriosität der Auseinandersetzung mit dem politischen Erbe der Antike, die der ersten Generation amerikanischer Politik als selbstverständliche historische Bildung zur Verfügung stand. Die Ausstellung leugnet aber auch nicht die dunklen Seiten des amerikanisch-römischen Vergleichs wie die Sklaverei, die durch je einen römischen und einen amerikanischen eisernen Halsring thematisiert wird.

Ancient Rome & America National Constitution Center, Philadelphia, bis 1. August

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