In ein anderes Grau

Bühne Jorinde Dröse bringt in Frankfurt am Main Hebbels „Nibelungen“ quasi unkommentiert heraus
Ausgabe 38/2013
Eine Szene aus die "Die Nibelungen", dem expressionistischen Filmepos von Fritz Lang von 1924
Eine Szene aus die "Die Nibelungen", dem expressionistischen Filmepos von Fritz Lang von 1924

Foto: Hulton Archive/ AFP/ Getty Images

Es ist das Stück, das einem Glück und vielen Verderben brachte: Für Die Nibelungen bekam Friedrich Hebbel 1863, kurz vor seinem Tod, mit dem Schillerpreis die langersehnte Anerkennung seines dichterischen Schaffens. Sein Trauerspiel zog später allerlei Despoten in seinen Bann. Nun sind die zumindest hierzulande ausgestorben, und auch sonst ist nicht zu befürchten, dass die Frankfurter Bearbeitung von Jorinde Dröse eine solche Sogkraft entfaltet.

Was Hebbels Hommage an die Treue – zugleich Vorwegnahme wie philosophisches Hintergrundrauschen für manches, was die deutsche Geschichte danach an Verirrungen und Untertanentum zu bieten hatte – uns heute sagen könnte, versickert irgendwo auf Deutschlands breitester Theaterbühne. Dass Schwerter zu Pistolen werden und Rüstungen zu Business-Anzügen, kann allein noch keine Aktualität generieren. Statt Todessucht und die allgegenwärtigen Jetzt-erst-recht-und-überhaupt-Motive zu hinterfragen, wird nacherzählt, bis der Vorhang fällt.

Machtmensch Etzel

Dröse, in der letzten Spielzeit noch Hausregisseurin am Berliner Gorki-Theater, huldigt durch Nicht-Kommentieren der Sprachgewalt des Autors und dessen dramaturgischer Virtuosität. Das vermag bisweilen zu unterhalten, trägt aber nicht über dreieinviertel Stunden: Im Event-Schauspielhaus von Intendant Oliver Reese mag man nicht erst seit dieser Premiere lange Theaterabende; die damit verbundenen Längen nimmt man in Kauf.

Agiert wird vor vier schiefergrauen und als Videoleinwand genutzten Wänden, auf mausgrauem Boden und meist in anthrazitgrauen Textilien (Bühne und Kostüme: Susanne Schuboth). Farbe bringen einige Darsteller ins Spiel. Nico Holonics ist ein herrlich diabolischer Hagen, seine Worte sind Geschosse, seine Gesten Dolche, und selten wirkte das Böse so anziehend, ohne zur Karikatur zu verkommen. Michael Benthin gibt Etzel als skrupulösen Mahner im Blutsturm, und wenn er am Ende gebrochen („Schleppt die Welt auf euren Schultern weiter“) vom Geschehen verschluckt wird, hat das nichts von der christlichen Läuterungssymbolik, die Hebbel beabsichtigte, sondern porträtiert einen Machtmenschen auf der biografischen Zielgeraden.

Die überragende Leistung erbringt an diesem Theaterabend Verena Bukal als Kriemhild: Vom Mainzer Staatstheater nach Frankfurt gewechselt, verkörpert sie in ihrer ersten Rolle bruchlos den Wandel ihrer Figur von der trauernden Ehefrau zur geifernden Nemesis. Somnambul wirkt sie, wenn sie stumm den Körper Siegfrieds betastet. Zerbrechlich, wenn sie von Hagen verspottet wird. Raumgreifend, wenn sie seine Bestrafung fordert. Immer ist es eine Demonstration.

Beinahe könnten diese Einzelleistungen die Versäumnisse von Regie und Dramaturgie aufwiegen, wenn nicht ranzige Situationskomik jede sich zaghaft erhebende Intensität zunichte machen würde. Dass ein Gallop angedeutet wird, als sähe man einem Western zu, mag noch hinnehmbar sein, dass aber etwa in einer Szene albern gesächselt wird und auch sonst diverse Verbal-Attentate zu vernehmen sind, mutiert zum Ärgernis.

So sitzt man und wartet auf das große Abschlachten. Das wird als Splatter-Movie mit lautem Pistolenknallen inszeniert. Viel zu spät.

Die Nibelungen Jorinde Dröse

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