Jesus kommt inkognito

Interview Jesus-Filme gibt es an Ostern kaum noch im Fernsehen zu sehen. Warum ist das so? Mit dem Theologen Dr. Andreas Reichert auf Spurensuche

der Freitag: Ostern ist ja die Zeit, in der die Sender Jesus-Filme ins Programm nehmen...

Dr. Andreas Reichert: Das war früher so, heute laufen an Ostern so gut wie keine Jesusfilme mehr. Schauen Sie mal ins Fernsehprogramm.

Die Passion Christi von Mel Gibson hat es immerhin ins Programm geschafft.

Die mittelalterliche Blutmystik, die den Film beherrscht, ist schrecklich. Aber sie scheint zu erklären, warum der Film jüngere Zuschauer anspricht, die Gewaltkino gewohnt sind. Die evangelische Kirche reagierte zunächst kritisch auf den Film, dann wollte sie ihm aber einen gewissen pädagogischen Wert nicht absprechen. Mir ist das unverständlich. Mindestens 20 Prozent des Inhalts gehen nicht auf das Evangelium, sondern auf die Visionen der Nonne Katharina von Emmerich zurück und die offensichtlichen Antisemitismen mit karikaturhaften Darstellungen der Pharisäer und der Juden überhaupt sind unerträglich.

Und sonst kommt der Messias an Ostern nicht mehr im Fernsehen vor?

Das kann man so nicht sagen. Nehmen Sie zum Beispiel den Herr der Ringe. Das ist kein Jesusfilm, trotzdem gibt es in diesem Film eine messianische Figur. Frodo ist eine Art „Jesus inkognito“. Der Film transformiert die Erlösergestalt in eine Welt, in der für die gerechte Sache, für Frieden und Freiheit, zu den Waffen gegriffen wird. Der Slogan des Films könnte lauten: „Frieden schaffen – aber mit Waffen“. Das passt in unsere Zeit, bis hin zu Obama. Solche Filme versprechen Erfolg, weil sie ein Publikum zwischen 14 und 49 ansprechen, während bei den alten Jesusfilmen von Rossellini und Zeffirelli oder auch bei Ben Hur eher die Oma mit den Enkeln vor dem Fernseher sitzt.

Sie haben in ihren Arbeiten auch „Matrix“ als Messiasfilm bezeichnet.

Neo, der Held, durchläuft Tod und Auferstehung. Erst symbolisch, dann real. Er mutiert mehr und mehr zu einem mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten, kämpfenden Messias. Eine Erklärung dafür wäre, dass wir in der Populärkultur noch soviel Kaffeesatz an biblischer Tradition vorfinden, dass diese Filme auf diesem Satz abgelagert werden können - und Erfolg haben. Vielleicht gibt es aber auch ein gemeinsames Drittes, auf das sowohl der Christus-, als auch der Neomythos zurückgreift: die Sehnsucht nach Erlösung und nach einer Rettergestalt etwa. Bei Matrix haben die Wachowski-Brüder auch stark die jüdische Tradition verarbeitet. Die Matrix-Trilogie verbindet jüdische Apokalyptik mit christlicher Messianologie.

Wie hat Jesus überhaupt den Weg ins Kino gefunden?

Einige der ersten Filme überhaupt waren Jesusfilme. Das Kino war in den Anfangstagen darauf angewiesen einen Bildweg zu finden, um ein Publikum, das mit dem Medium nicht vertraut war, zu erreichen. Deshalb ging es darum, Themen zu zeigen, die alle kannten. Und das Wunder der Auferstehung, wie Jesus sich da aus seinem Grab erhebt, das war auch das Wunder der neuen Technologie. Es war nicht die Kirche, die das Kino als Vehikel entdeckt hat, sondern der Film suchte dramatische, gut visualisierbare Szenen als Ausgangsmaterial – und fand das verfilmte Passionsspiel. Dieses Verhältnis zwischen Populärkultur und der biblischen Botschaft besteht bis heute fort.

Die Katholische Kirche hat für Ostern als Alternative zum Fernsehprogramm Empfehlungen herausgegeben - vor allem alte Filme, etwa einen Jesusfilm von 1897. Welche Filme empfehlen sie?

Pier Paolo Pasolini ist der größte Jesusfilm überhaupt gelungen. „Das 1. Evangelium – Matthäus“ hat etwas sehr Archaisches und Authentisches. Pasolini hat ihn mit Laiendarstellern gedreht, eingebettet in eine wunderbare Landschaft und dazu läuft im Hintergrund die Musik von Johann Sebastian Bach. Ich habe noch keinen erlebt, der nicht von diesem Film ergriffen war. Unbedingt würde ich auch Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ empfehlen. Die Bischofskonferenz hat diesen Film kritisiert, weil es eine Szene gibt, in der Jesus von Maria Magdalena verführt wird. Dabei ist völlig offensichtlich, dass Scorsese hier einen Traum darstellt. Am Schluss erkennt Jesus am Kreuz dann doch, dass seine Aufgabe das Opfer ist.

Dr. Andreas Reichert ist evangelischer Theologe und lehrt an der Universität Tübingen. Im Sommer 2002 leitete er dort das Projekt Vom Messias zur Matrix. 105 Jahre Jesusfilme und die Neo-Mythen der populären Kultur.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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