Kampf um einen Sehnsuchtsort

Cinephilie Das Österreichische Filmmuseum (ÖFM) wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Aus diesem Anlass ist eine dreibändige Jubiläumspublikation erschienen
Ausgabe 22/2014

In Das sichtbare Kino versammelt Alexander Horwath, der seit 2002 Direktor des ÖFM ist, neben Dokumenten auch Erinnerungstexte von Künstlern, Wissenschaftlern und anderen Autoren, die dem Filmmuseum in all der Zeit nahegestanden haben.

Ein zumindest im deutschsprachigen Raum einzigartiges Refugium der Cinephilie ist das Wiener Filmmuseum schon, gerade in Zeiten der Digitalisierung. Und, zumindest für Nicht-Wiener, auch ein Sehnsuchtsort: Das Programm des Österreichischen Filmmuseums studiere ich oft genauer als dasjenige der Berliner Kinos vor meiner Haustür. Denn das ÖFM präsentiert seine umfangreichen historischen Retrospektiven stets in den weltweit besten verfügbaren Kopien, in originalsprachlichen Fassungen und, das ist heutzutage besonders bemerkenswert, von historisch korrektem Vorführmaterial (also in den allermeisten Fällen 35-Millimeter-Zelluloidfilm).

Ein weiterer der drei Bände, mit denen diese österreichische Institution ihr 50-jähriges Bestehen feiert, heißt Kollektion. Er ist ähnlich steinbruchartig angelegt wie der Band Das sichtbare Kino und stellt Objekte des hauseigenen Archivs vor. Weit über solche (ganz und gar nicht eitle) Selbstrepräsentanz hinaus weist der dritte Band mit dem Titel Aufbrechen. Eszter Kondor, Mitarbeiterin des Museums, hat auf Grundlage eines beeindruckend umfangreichen Quellenstudiums die Vor- und Frühgeschichte der Institution niedergeschrieben.

Sie zeichnet nach, wie im traditionell der bürgerlichen bis restaristokratischen Hochkultur nahestehenden Wien im Lauf der 50er Jahre erst langsam ein Bewusstsein dafür entstand, dass auch das Trivialmedium Film eine Geschichte hat, die eine intensive Beschäftigung lohnt; wie der international bereits erfolgreiche Experimentalfilmer Peter Kubelka und der ehrgeizige Technikstudent Peter Konlechner im Jahr 1964 eine Kinemathek aus dem Boden stampften; und wie die beiden in der Folge jahrelang um deren Fortbestehen hartnäckig kämpften: gegen zunächst wenig enthusiastische Behörden, aber auch gegen Konkurrenten wie das Österreichische Filmarchiv(einige Passagen im Buch geben eine Ahnung davon, dass gerade diese Auseinandersetzung noch nicht ganz zu Ende sein könnte).

Und schließlich geht es, überraschend angesichts des Hintergrunds von Kubelka, um die Kritik an der einheimischen Filmavantgarde. Die westeuropäischen Protestbewegungen von 1968 fanden in Wien einen Ausdruck in dem Anfeindungen der lokalen Kunstszene gegen das noch junge Filmmuseum, die sich selbst im Programm unterrepräsentiert fand und das erst vier Jahre alte Kino bereits zu jener etablierten, verfilzten Kulturelite zählte, mit der es aufzuräumen gelte.

Kondor schreibt Institutionengeschichte (und nebenbei Sozialgeschichte der Nachkriegszeit) als eine der mal größeren, öffentlichen, mal kleineren, hinter dem Rücken ausagierten Streitereien, bei denen es – das merkt man schnell – oft mehr um persönliche Eitelkeiten geht als um das große Ganze. Ein tolles Buch ist Aufbrechen auch, weil die Autorin, obwohl nicht unparteiisch, strikt protokollarisch vorgeht. Sie stellt das chaotische Durcheinander der Interessenlagen und wechselseitigen Anfeindungen als Eigenwert aus und ordnet es nicht etwa der Mastererzählung einer Erfolgsstory unter.

50 Jahre Österreichisches Filmmuseum 1964 – 2014 Verlag Synema 2014, 768 Seiten (3 Bände), 44 Euro

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