Katastrophe für die U-Boot-Flotte

HAVARIE DER "KURSK" Das Boot der Oscar-II-Klasse war Teil der Antwort Moskaus auf das gigantische Flugzeugträger-Programm der USA

Das in der Barentssee auf Grund liegende russische Atom-U-Boot "Kursk" gehört nicht, wie während der vergangenen Tage teilweise der Eindruck erweckt wurde, zu Russlands seegestützten strategischen Nuklearstreitkräften: Die strategische U-Bootflotte Russlands besteht gegenwärtig offiziell lediglich aus 25 Booten. Davon gehören fünf zur sogenannten Akula/Typhoon-Klasse, sieben zur Delfin/Delta-IV-Klasse und 13 zur Kamar/Delta-13-Klasse. Zusammen tragen diese Boote 440 ballistische Raketen mit insgesamt 2.272 Nuklearsprengköpfen. Doch mit diesem Potenzials verbinden sich gegenwärtig bei weitem nicht jene Schlagkraft und operativen Möglichkeiten, wie sich das die russische Militärführung vorstellt. Die größten Sorgen bereiten dabei die Boote der Akla/Typhoon-Klasse - sie bilden gewissermaßen das Herzstück der russischen strategischen U-Boot-Staffel: Die auf ihnen stationierten Interkontinentalraketen vom Typ "RSM-52/Sturgeon" sind allerdings hoffnungslos veraltet und hätten längst durch neue Raketen vom Typ "Grom/ Bark" ersetzt werden müssen. Deren Entwicklung wurde jedoch vor zwei Jahren aufgrund fehlender technischer und finanzieller Kapazitäten eingestellt. Die zügige Verschrottung der Akula-Boote scheint damit programmiert und nur noch eine Frage der Zeit. Mittelfristig wird sich Russland daher in Sachen seegestützter nuklearstrategischer Abschreckung auf seine Delta-Boot-Flotte verlassen müssen. Da dieses Arsenal jedoch auch zunehmend verschleißt und die Entwicklung einer vollkommen neuen Generation strategischer Atom-U-Boote vom Typ "Borej" faktisch auf der Stelle tritt, gehen Experten davon aus, dass bis 2010 Russlands strategische U-Bootflotte aus maximal neun bis zwölf Booten mit insgesamt 800 bis 1.000 Sprengköpfen bestehen wird, obwohl die bisherigen START-Vereinbarungen Moskau erlauben, zwischen 1.750 und 1.900 seegestützte Sprengköpfe zu besitzen. Es steht aber außer Zweifel, dass die mit START II gesetzten Höchstgrenzen auf russischer Seite niemals ausgeschöpft werden können.

Vor diesem Hintergrund wächst die strategische Bedeutung jener Kategorie von russischen Atom-U-Booten, zu der die "Kursk" gehört: Lenkraketenbestückte Unterwasser-Kreuzer der Autey-II/Oscar-II-Klasse. Bis zur Havarie der "Kursk" verfügte Russland über elf derartige Boote. Ausgestattet mit jeweils 24 hochpräzisen Antischiffsraketen vom Typ "Granit" besteht die Hauptaufgabe dieser Boote im Falle einer militärischen Konfrontation in der Vernichtung schwerer Flugzeugträger und Kriegsschiffe - sie sind dazu aus einer Entfernung von bis zu 500 Kilometern in der Lage. Mit einem Stückpreis von zirka 500 Millionen US-Dollar gilt die Oscar-II-Klasse als Moskaus asymmetrische und vor allem kosteneffektive Antwort auf Amerikas gigantomanische Flugzeugträgerflotte, die nicht nur für Russland eine erhebliche Bedrohung darstellt. Insofern lassen sich mit der jetzigem Katastrophe in der Barentsee die Konsequenzen für das militärische Kräfteverhältnis mit den USA noch gar nicht absehen, aber es gibt sie zweifellos. Möglicherweise hat Russland erneut ein wesentliches Element seiner Militärdoktrin eingebüsst, für das es mittelfristig nur schwer adäquaten Ersatz geben dürfte.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden