Kein Ende der Leidenszeit

Kommentar Hundert Jahre nach dem Völkermord in "Deutsch-Südwest"

Hereroland, rote und gelbe Erde, Farmen hinter Stacheldrahtzäunen, Steppe und Wald bis zum Waterberg. Dort wurden die aufständischen Viehzüchter von den kaiserlichen deutschen Schutztruppen geschlagen. Das Thema kommt ungerufen und unwillkommen wieder zurück nach Deutschland. Um das Datum 11. August stören uns Artikel und Sendungen auf, hören wir von Versöhnungskonzepten und Vorwürfen der Hereros aus Namibia, die wegen der Bundestagsresolution vom Juni gekränkt sind. Das geschichtliche Geschehen verschwindet einfach nicht aus dem Gedächtnis. Die deutschstämmigen Farmer, die seit jenem Sieg in mehreren Generationen dieses Land bewirtschaften, sind überrascht, wissen von der Geschichte nichts oder verbergen es. In ihren Familien wurden offenbar eher die rassistischen Anekdoten weitergegeben, in deren Hintergrund die große Legende von der Unfähigkeit der "Eingeborenen" aufragt.

Nach ihrer Niederlage lief das Programm zur Vernichtung der Hereros an - durch Vertreibung und Internierung in "Konzentrationslagern". Das Wort war damit ins Deutsche aufgenommen, das erste "moderne" Programm dieser Art lief ab, im Rückblick eine Ankündigung des systematischen Völkermordens im 20. Jahrhundert, fast seine Erfindung. Manchmal muss man in den Originalton hineinhören, um zu begreifen, in welchem Geist gehandelt wurde: So berichtete das Gouvernement Windhuk drei Jahre später an die Kolonialabteilung in Berlin, nachdem wohl 80 Prozent der Hereros umgekommen waren: "Je mehr das Hererovolk am eigenen Leibe nunmehr erst die Folgen des Aufstandes empfindet, desto weniger wird ihm auf Generationen hinaus nach einer Wiederholung des Aufstandes gelüsten. Unsere eigentlichen kriegerischen Erfolge haben geringeren Eindruck auf sie gemacht. Nachhaltigere Wirkung verspreche ich mir von der Leidenszeit, die sie jetzt durchmachen. Wirtschaftlich bedeutet der Tod so vieler Menschen allerdings einen Verlust."

Seitdem sind die selbstbewussten Hereros eine arme, landlose Bevölkerung ohne Fürsprecher. Aber schon 1904 gab es in Deutschland keineswegs nur eine Meinung zur Niederschlagung des Aufstands. Im Reichstag wurde heftig darüber debattiert. Heute unterstützen Kreise der evangelischen Kirche den Anspruch der Hereros auf Entschädigung. In den Jahren des Befreiungskampfes bis 1990 half die DDR der heute regierenden SWAPO. Das vereinigte Deutschland bemüht sich, an jene freundschaftlichen Beziehungen anzuknüpfen. Nur sind in Namibia die Hereros als Minderheit nicht in bester Position. Zwar gibt es sie und ihre Kultur noch, wie in der Bundestagserklärung besänftigend angeführt wird, aber die Folgen der Vernichtungspolitik wirken bis heute. Es gäbe eine wunderbar konkrete Form, etwas wieder gut zu machen: Sie beim Landkauf finanziell zu unterstützen.


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