KURZBIOGRAFIEN: DIE FRAUEN DER RAF Brigitte Mohnhaupt, Eva Haule und Birgit Hogefeld sind immer noch im Gefängnis, Heidi Schulz ist nur auf Abruf von Haft freigestellt
Wer könnte auf Anhieb sagen, ob und wieviele politische Gefangene der RAF heute noch im Gefängnis sitzen? Kaum jemand, weil sie völlig aus dem öffentlichen Interesse verschwunden sind. Nach wie vor sind drei Frauen und drei Männer aus der RAF in Haft: Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Eva Haule, Birgit Hogefeld, Rolf-Clemens Wagner und Rolf Heißler. Heidi Schulz ist wegen ihres Gesundheitszustandes befristet von Haft freigestellt.
Es gibt keinen Grund, diesen Frauen und Männern die sofortige und bedingungslose Freilassung zu verweigern. Dass dies dennoch geschieht, liegt wesentlich daran, dass 25 Jahre nach dem Vietnamkrieg niemand mehr von den Gefangenen redet. Eine Chance haben sie nur, wenn die Gesellschaft sie wieder präsent macht, wenn sie brei
ht, wenn sie breite Unterstützung für die Forderung nach Freilassung mobilisiert.Wer mehr über diese Gefangenen, die Gründe, weshalb ihre Freilassung zwingend ist, und Allgemeines über die Geschichte der RAF erfahren will, sei verwiesen auf die neue Broschüre der Roten Hilfe e.V.: Freilassung für die politischen Gefangenen aus der RAF**Brigitte Mohnhaupt wurde 1949 geboren. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre studierte sie in München Englisch und Geschichte. Sie schloss sich schon früh der RAF an, kurz nach deren Entstehung. Im Sommer 1972 wurden nach und nach fast alle RAF-Mitglieder in verschiedenen Städten der BRD verhaftet, Brigitte Mitte Juni im damaligen Westberlin. Brigitte wurde, wie etliche andere politische Gefangene, ins Frauengefängnis Lehrter Straße gebracht.Das Landgericht Berlin verurteilte sie wegen bloßer Mitgliedschaft in der RAF zu viereinhalb Jahren Haft. Im Frühjahr 1976 wurde sie nach Westdeutschland verlegt, weil es in der Lehrter Straße "zu viele" politische Gefangene gab. Nach einigen Wochen im Frankfurter Frauen-Gefängnis kam sie nach Stuttgart-Stammheim, wo sie die letzten Monate ihrer Haftzeit mit Gudrun Ensslin, Ingrid Schubert, Andreas Baader und Jan Carl Raspe zusammen war.Nach ihrer Entlassung im Februar 1977 schloss sie sich bald der wieder erstarkten RAF an. 1977 war geprägt von zahlreichen Aktionen der RAF: Im April wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen; im Juli misslang der Raketenangriff auf das Gebäude der Bundesanwaltschaft; im August erschoss ein Kommando der RAF bei einem Entführungsversuch den Sprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto; und im September schließlich entführten RAF-Mitglieder den Wirtschaftsführer Hanns-Martin Schleyer, der unter den Nationalsozialisten Studentenfunktionär und Mitarbeiter von Heydrich in der besetzten Tschechoslowakei war, und erschossen dabei seinen Fahrer und drei Polizisten.1978 wurde Brigitte zusammen mit drei weiteren RAF-Mitgliedern in Jugoslawien festgenommen. Die BRD-Regierung übte starken politischen Druck auf die jugoslawische Regierung aus, um die Auslieferung der vier Gefangenen zu erreichen. Da sie aber ihrerseits nicht bereit war, mehrere in Jugoslawien gesuchte Kroaten auszuliefern, kamen die Vier nach sechs Monaten frei und konnten erneut abtauchen.1982 wurde Brigitte zusammen mit Heidi Schulz bei einem Erddepot in der Nähe von Frankfurt/M. verhaftet. Im Prozess wurden ihr sämtliche Aktionen der RAF aus dem Jahr 1977 und der Angriff auf den amerikanischen NATO-General F. Kroesen 1981 angelastet. Sie wurde zu fünf Mal (!) Lebenslänglich verurteilt.Die Bundesanwaltschaft will erreichen, dass Brigitte 24 Jahre absitzen muss, bevor sie einen Antrag auf "vorzeitige" Entlassung stellen kann. Es gibt hierzu noch keinen Gerichtsbeschluss, aber inoffiziell gehen die Behörden von diesem Zeitraum aus. Danach könnte Brigitte frühestens im Jahre 2006 frei kommen.Seit Ende 1986 ist Brigitte im Frauengefängnis in Aichach inhaftiert. Sie war dort zunächst wie all die Jahre zuvor isoliert. Zwar konnte sie später mit anderen Gefangenen zusammen kommen, zahlreiche weitere Einschränkungen blieben jedoch bestehen. Erst seit circa fünf Jahren finden Besuche von Nicht-Angehörigen ohne Trennscheibe statt.Die wenigen Erleichterungen im Vollzug, die Brigitte - wie die anderen Inhaftierten aus der RAF - meist in zähem Kampf gegen die Anstaltsbürokratie durchgesetzt hat, können nach den langen Jahren von Isolation und beispiellos hartem Haftregime keine gesundheitliche Verbesserung oder sonstige Änderung zum Positiven mehr bewirken.Eva Haule wurde 1954 geboren. Nach dem Abitur in Stuttgart ging sie nach Berlin, wo sie in verschiedenen linksradikalen Bewegungen, unter anderem gegen die Politik der NATO, aktiv war. Als aus diesem Zusammenhang 1980 das Amerika-Haus in Berlin besetzt wurde, war sie schon wieder nach Stuttgart zurückgekehrt. Auch dort arbeitete sie in militanten Bewegungen mit, ehe sie sich der RAF anschloss. Dort trat sie vor allem für die Zusammenarbeit mit der französischen "Action Directe" und für dieVerwirklichung des Frontkonzepts ein, das unter anderem die Zusammenarbeit der Stadtguerilla mit Gruppen aus dem antiimperialistischen Widerstand vorsah.Eva wurde im August 1986 in einem Eiscafé in Rüsselsheim verhaftet. Sie wurde vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen des Angriffs auf die NATO-Schule in Oberammergau und Mitgliedschaft in der RAF zu 15 Jahren Haft verurteilt.Nachdem in der Zelle einer anderen politischen Gefangenen aus der RAF ein Zettel gefunden worden war, auf dem Eva eine allgemeine politische Einschätzung zur Strategie der RAF in den zurückliegenden Jahren geschrieben hatte, wobei sie auch das Wort "wir" benutzte, wurde sie vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. 1994 erneut angeklagt: Die Bundesanwaltschaft sah in dem Zettel das Eingeständnis, dass Eva an der Aktion der RAF gegen die Rhein-Main-Airbase und der Erschießung des GI Edward Pimental 1985 beteiligt gewesen sei. Das Bundeskriminalamt hielt diese Interpretation für keineswegs zwingend. Schließlich fand das Gericht offenbar diesen "Beweis" als zu dürftig, verteilte sie aber dennoch zu lebenslanger Haft wegen Mitwirkung an der Entscheidung zum Angriff auf die Airbase. Damit wurde die kollektive Bestimmung der Strategie zum eigentlichen kriminellen Delikt gemacht, die Politik zur Tat. Ein konkreter Tatnachweis, der essenzieller Bestandteil des deutschen Strafrechts ist, war nach dieser Lesart des Gerichts nicht mehr erforderlich. Das war in dieser Deutlichkeit selbst in den Prozessen gegen Mitglieder der RAF ein Novum.Seit den Vorbereitungen zu dem neuen Prozess ist Eva im Frauengefängnis in Frankfurt/M. inhaftiert. Sie ist inzwischen im Wesentlichen anderen Gefangenen weitgehend gleichgestellt.Rot-Grün hat Halbzeit, der frühere Juso Gerhard Schröder, der frühere Straßenkämpfer Joseph Fischer und der frühere RAF-Verteidiger Otto Schily regieren seit zwei Jahren. Sie kämpften, unterschiedlich energisch und gewaltbereit, gegen den Vietnamkrieg, gegen die Springerpresse, gegen "das Kapital". Lautstark forderten sie Freiheit für die Gefangenen der RAF, Freiheit für Ulrike Meinhof. Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin sind tot, aber deren frühere Mitstreiter sind nach wie vor in Haft. Damals war es ein schmaler Grat, der die militanten Kritiker der BRD von den anderen Linksradikalen trennte. Heute liegen Welten zwischen ihnen: Freilassung steht nicht auf der politischen Agenda. Wer die nach wie vor gültigen Urteile mit dem Strafmaß für rechtsradikale Mörder und Totschläger heute vergleicht, muss an der rechtsstaatlichen Verfasstheit der BRD zweifeln. Ein unwürdiger Zustand - und zwar nicht nur für die Inhaftierten. Neben der Roten Hilfe und den Angehörigen setzen sich in verschiedenen Städten Initiativen für die Freilassung der Inhaftierten ein. Am 9. November 1999 stellten sich namhafte Künstler aus Theatern in ganz Deutschland hinter einen Aufruf der Volksbühne, darunter Anna Badora, Frank Castorf, Leander Haußmann, Carl G. Hegemann, Harry Kupfer, Thomas Langhoff, Thomas Ostermeier, Christoph Schlingensief und Udo Zimmermann. Unsere Autorin Monika Berberich wurde 1942 geboren. Sie studierte in Frankfurt und Berlin Jura (mit Abschluss). 1965 saß sie wegen Fluchthilfe vier Monate in Prag im Gefängnis. 1970, in der Aufbauphase, wurde sie Mitglied der RAF. Im Oktober 1970 wurde sie verhaftet und 1974 vom Landgericht Berlin unter anderem wegen Bankraubs zu zwölf Jahren Haft verurteilt. 1976 gelang ihr zusammen mit Juliane Plambeck, Gabriele Rollnick und Inge Viett die Flucht aus dem Berliner Frauengefängnis Lehrter Straße. Nach 14 Tagen wurde sie erneut verhaftet und zu weiteren vier Jahren verurteilt. Seit ihrer Freilassung im März 1988 engagiert sie sich vor allem für die Freilassung der noch Inhaftierten. Sie arbeitet über die Auswirkungen von Folter und Isolation. Zusammen mit Irene Rosenkötter schuf sie das uruguayisch-deutsche Video "... und plötzlich sahen wir den Himmel", gemeinsam mit Rosenkötter gab sie auch das Buch "Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt" mit Interviews ehemaliger gefangener und gefolterter Frauen in Uruguay* heraus. Monika Berberich lebt in Frankfurt.Birgit Hogefeld wurde 1957 geboren. Sie arbeitete zunächst in verschiedenen legalen Gruppen, ehe sie sich der RAF anschloss. Sie wurde jahrelang von der Polizei ohne konkrete Beweise gesucht. Schließlich gelang es einem V-Mann des Verfassungsschutzes, Kontakte zu RAF-Mitgliedern aufzunehmen. Im Sommer 1993 verriet er ein Treffen mit Birgit und dem ebenfalls als RAF-Mitglied gesuchten Wolfgang Grams auf dem Bahnhof von Bad Kleinen.Wolfgang Grams wurde bei der Festnahme mit seiner eigenen Pistole erschossen. Es gab eine Zeugenaussage, dass ein Polizist auf den verletzt am Boden Liegenden geschossen habe, und der ermittelnde Staatsanwalt schloss nach einigen Tagen einen Selbstmord von Wolfgang definitiv aus. Trotzdem setzten die Behörden nach und nach die Selbstmord-Version durch, die Medien übernahmen und verbreiteten sie.Birgit Hogefeld wurde, obwohl so gut wie keine Beweise gegen sie vorlagen, zu lebenslanger Haft verurteilt.Sie ist in Frankfurt a.M. inhaftiert und kann am "normalen" Knastleben teilnehmen.Adelheid (Heidi) Schulz wurde 1955 geboren. Sie war seit Anfang der siebziger Jahre im linken Spektrum aktiv und engagierte sich besonders in der Gefangenensolidarität. Noch in den siebziger Jahren schloss sie sich der RAF an. Sie wurde ebenfalls jahrelang gesucht.1982 wurde sie zusammen mit Brigitte Mohnhaupt verhaftet. Sie wurde vor allem wegen der Entführung und Tötung von Schleyer vom Oberlandesgericht Stuttgart zu zweimal Lebenslänglich verurteilt. Nach der "Wende" wurden 1990 frühere RAF-Mitglieder, die sich Ende der siebziger Jahre von der Gruppe getrennt und dann mit einer Legende in der DDR gelebt hatten, verhaftet und in die Bundesrepublik ausgeliefert. Fast alle machten belastende Aussagen gegen ihre früheren GenossInnen und erhielten im Gegenzug Strafmilderung nach der Kronzeugenregelung, obwohl diese für sie gar nicht zutraf. Daraufhin fanden gegen mehrere bereits verurteilte RAF-Mitglieder weitere Prozesse statt, so auch gegen Heidi Schulz. Sie wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf noch einmal zu lebenslanger Haft verurteilt.Die ersten sieben Jahre waren Isolationshaft, eine Folter, von der sie sich physisch und psychisch nicht mehr erholte. Mehrfach wurden Heidi Schulz medizinische Untersuchungen in dringenden Fällen verweigert. Eine Operation konnte nur nach massivem Druck ihrer Angehörigen und Anwälte - unter unwürdigsten Bedingungen - durchgeführt werden. Ihre Ärztin Beate Zimmermann erklärte schließlich, dass eine Haftentlassung die einzige Chance für psychisches und physisches Überleben sei. Erst als ihr Zustand von der Bundesanwaltschaft und den Gefängnisbehörden nicht mehr einzuschätzen war, erhielt sie im Herbst 1998 eine Haftunterbrechung aus Gesundheitsgründen, zunächst für sechs Monate. Inzwischen wurde diese mehrmals verlängert.Seit ihrer vorläufigen Entlassung befindet sich Heidi Schulz in ärztlicher Behandlung. Das Bemühen um ihre Gesundheit nimmt ihre gesamte Kraft und Zeit in Anspruch, zumal sie häufig akut erkrankt. Wie bei fast allen ehemaligen Gefangenen, die lange Zeit inhaftiert waren, ist ihr Immunsystem stark geschwächt. Auch ohne die ständige Drohung, nach sechs Monaten wieder ins Gefängnis zu müssen, würde sie für die Wiederherstellung eines halbwegs ausgeglichenen Gesundheitszustandes noch viele Jahre brauchen. Mit dieser Drohung ist das nahezu unmöglich.*Berberich, Monika/Rosenkötter, Irene (Hrsg.) Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt, Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1998, 270 S., 29,- DM.** Zu beziehen über den Literaturvertrieb der RH, Postfach 6444, 24125 Kiel Tel. + Fax 0431/75141
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