Die eigentliche Tragödie der Annette Schavan zeichnete sich schon kurz vor ihrem Amtsantritt als Bundesbildungsministerin ab. Immerhin mehr als sieben Jahre hat sie dieses Amt bis zu ihrem Rücktritt am vergangenen Samstag ausgeübt. Politisch gescheitert ist sie aber schon viel früher. 2005, als designierte Ressortchefin im Kabinett Merkel, bewunderten alle die eloquente Frau. Die Kultusministerin Baden-Württembergs war eine Heldin: Sie hatte in ihrem Bundesland die besten Grundschulen Europas, sie reformierte das Gymnasium, sie hatte den ersten Kopftuchstreit gewonnen, ehe die meisten begriffen hatten, um was es da eigentlich ging. Mit Annette Schavan kam eine Beinahe-Bundespräsidenten nach Berlin.
Und dann das. Auf die Frage in einem kleinen Kreis von Journali
n Journalisten, wie sie denn den föderalen Hühnerhaufen der Landesbildungsminister zu dressieren gedenke, hatte sie kein politisches Instrument in der Tasche. Sie wollte allein darauf setzen, einen anderen Ton anzuschlagen. Die fordernde Ansprache ihrer Vorgängerin Edelgard Bulmahn (SPD) sei es gewesen, die eine Einigung mit den Ländern stets erschwert, ja unmöglich gemacht habe. Entsetzen unter den Journalisten. Sollte die Wissens- und Technologiepolitik des Exportweltmeisters daran hängen, ob die Bundesministerin die Etiquette einhält?Damals war klar, dass Schavan keine Heldin im neuen Amt werden würde. Und so kam es, nein, es wurde schlimmer. Denn 2006 wurde die Föderalismusreform beschlossen. Eine Änderung des Grundgesetzes, die es dem Bund untersagte, in Schulfragen mit den Ländern zu kooperieren. Die Möglichkeiten des Bundes, Hochschulpolitik zu gestalten, waren danach ebenfalls sehr begrenzt. Heute gilt dieses Kooperationsverbot als schwerer Fehler.Eine aufgeklärte FöderalistinWie kann ein Staat, der weltweit in der ersten Liga spielen muss, sich von „Bonsai-Bundesländern“ wie dem Saarland Bildungs- und Forschungspolitik diktieren lassen? Welcher japanische oder amerikanische Wissenschaftsmanager würde nicht in Lachen ausbrechen, wenn er erführe, dass man in Deutschland in der Finanzkrise von 2009 Schrottprämien für Autos mühelos ausbezahlen konnte – aber für Investitionen in Schulen ein Sonderdekret benötigte, um das Kooperationsverbot zu umgehen?Annette Schavan hat daran nichts geändert. Sie hat die föderale Selbstfesselung mitgespielt und getan, als könne man diese Modernisierungsblockade wegpredigen. Das einzige, was man ihr zugute halten kann, ist, dass sie sich zu einer Art aufgeklärten Föderalistin gewandelt hat. Sie hat das Ganztagsschulprogramm des Bundes ihrer Vorgängerin Edelgard Bulmahn brav weiter verwaltet. Beendet hat sie es später dennoch. Schavan hat auch versucht, die Föderalismusreform wieder zurückzudrehen. Ihr Mut dabei war nicht groß. In Hinterzimmern ließ sie sich ins Geschacher für die Verschlimmbesserung des Kooperationsverbots ziehen.Schavans größte Leistung ist Normal-sterblichen schwer zu vermitteln. Das sagt viel über ihre Intelligenz – und über den Irrsinn der deutschen Bildungsverfassung aus. Die Ministerin beschäftigt mit Jürgen Mlynek und seiner Helmholtz-Gemeinschaft nämlich eine Art Pfadfinder im Zuständigkeitsdschungel. Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren ist eine zu 80 Prozent vom Bund finanzierte Forschungsorganisation. Immer wenn es darum geht, einen Bypass für das gelähmte Herz der Bildungsrepublik zu legen, schickte Schavan den Helmholtz-Präsidenten als eine Art Allzweckwaffe vor. Mlynek ist zum Beispiel Mitbetreiber des „Haus der Kleinen Forscher“, das in Kindergärten und Schulen den Forschergeist fördert – und die Zuständigkeitsregeln für Bildung des Grundgesetzes umgeht.Oder wenn es darum geht, Bundesuniversitäten zu fördern, die es de jure nicht geben darf, weil allein die Länder dafür zuständig sind: Dann rückt Mlynek eines seiner Forschungszentren so nah an eine Landesuniversität heran, dass de facto eine Bundesuni entsteht. So geschehen beim Karlsruher Institut für Technologie oder beim Berliner Medizin-Forschungszentrum. Aber das sind Tricks, die eben nur auf der Hinterbühne stattfinden können.Wie verfahren die Lage auf der Hauptbühne ist, erkannte Annette Schavan, als sie ein wichtiges Programm mal ohne Tricks auf den Weg bringen wollte: die Exzellenzinitiative für Lehrer. Eine halbe Milliarde Euro Bundesgeld wollte sie in die Lehrerbildung investieren, um den unter demografischer Schwindsucht leidenden Beruf wieder aufzuwerten. Aber die Länder zeigten ihr die kalte Schulter. „Her mit dem Geld!“, riefen sie. Auf verbindliche Gegenleistungen wollten sie sich wie üblich nicht einlassen. Ein Skandal zwar, aber einer, der durch Buchstaben und Sinn des Grundgesetzes abgesegnet ist. Die Bildungsrepublik ist im Fundament kaputt.Eine kleine MerkelDeswegen hätte die Bildungsministerin zurücktreten sollen – aus Empörung gegen eine irre Verfassung und aus Protest gegen die verantwortungslose Politik der Bundesländer. Dass sie nun ausgerechnet über ihre Dissertation stolperte, ist zwischen Treppenwitz und Tragödie anzusiedeln.Ein Witz, weil Schavans Arbeit und die Täuschung, die darin steckt, nicht mit der des eleganten Karl-Theodor von Guttenberg vergleichbar ist. Der gegelte CSU-Youngstar copy-and-pastete komplette Absätze aus FAZ-Artikeln – selbst in der Einleitung. Das ist derart dreist, dass erhebliche Zweifel daran berechtigt sind, ob der Mann die Arbeit überhaupt selbst verfasst haben kann. Schavan aber, bei der es ein flinkes Kopieren rein technisch noch nicht gab, stolpert über vier vergessene Quellennachweise und ein paar weggelassene An- und Abführungen. Für eine Bundesministerin freilich ist auch das zu viel.Guttenbergs Doktorarbeit war die nur in Deutschland bekannte Leichtpromotion, ein hübsches Präfix auf der Visitenkarte. Annette Schavan hat ihre Promotion todernst genommen. Sie verstand sie als Glanzstück, verfasst mit 25 Jahren. In einem Alter also, in dem nicht wenige Studenten, die nun Plagiat plärren, noch mit Proseminaren ringen. Schavan hat sich 350 Seiten lang über „Person und Gewissen“ gewissermaßen in den deutschen Geistesadel eingeschrieben. Und sie hat sich die kleine Krone sogar ohne vorhergehenden Abschluss aufgesetzt. Das ist etwas, was man heute in den Eliteunis wieder ermöglichen will, um herausragende Studierende mit dem Turbo Richtung Juniorprofessur zu beschleunigen.Mancher der superschnellen Doktoranden wird sich nun überlegen, erst einen Master zu machen. Für Annette Schavan spielt das keine Rolle mehr. Sie wird auf den harten Bänken der Verwaltungsgerichte um Satisfaktion ringen. Das ist die Tragödie in Schavans Titelkampf. Sie behauptete, „erst der Staat, dann die Partei, dann ich“. In Wahrheit macht sie es genau andersherum: erst ich und mein Titel, mein bildungsbürgerliches Gütesiegel. Dann die Wissenschaft, deren Unabhängigkeit die Promotion symbolisiert. Schavan läutet damit unfreiwillig das Ende der bildungsgeschichtlichen Idee der Promotion ein: Sie attackierte als Wissenschaftsministerin die Freiheit der Wissenschaft.Und Johanna Wanka, die Nachfolgerin? Wanka ist viel zuzutrauen, weil sie auf eine andere Art so brillant wie Schavan ist. Die 60-jährige Mathematikerin hat mutig gegen die Rechtstendenzen in der Brandenburger CDU gekämpft, sie hat Zivilcourage. Sie ist die erste Ostfrau, die auf Landesebene im Westen in ein Kabinett eingezogen ist, eine kleine Angela Merkel. Und Wanka ist keine konservative Ideologin. Sie lässt sich von wissenschaftlicher Exzellenz und technologischem Vorsprung leiten. Föderale Sentimentalitäten sind ihr nicht so wichtig. Das heißt, sie wird in Berlin viel schneller als Schavan den Vorwärtsgang einschalten.Ob sie kurzfristig dabei helfen kann, kulturhoheitliche Ketten zu sprengen, steht auf einem anderen Blatt. Dass die Bildungsrepublik sich ihrer föderalen Fesseln entledigen muss und wird, ist keine Frage. Spannend ist nur, ob die beiden ostdeutschen Naturwissenschaftlerinnen im Kabinett diejenigen sind, die diesen Aufbruch beginnen werden.
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