Die arktische Tiefsee galt noch vor Kurzem als einer der unberührtesten Lebensräume der Erde. In gut 2.500 Metern Tiefe findet man Schwämme, Seelilien, Seegurken und Eingänge zu den Grabbauten kleiner Krebstierchen. Doch wie vor Kurzem bekannt wurde, haben Mitarbeiter des Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) entdeckt, dass sich auch hier der Eintrag an Plastikmüll im letzten Jahrzehnt verdoppelt hat.
Der größte Teil des Plastikmülls in der See stammt vom Festland. Das ist kein Wunder, denn rund die Hälfte der Weltbevölkerung lebt an der Küste. Alles, was die Menschen in den Millionenstädten Shanghai, Mumbai, Sao Paulo, Tokio oder New York achtlos auf die Straße oder an den Strand werfen, trägt
trägt der Wind ins Meer. Wellen, Sonne und Felsen zermahlen den Müll zu immer kleineren Teilchen. Auch beim unvorsichtigen Verladen im Hafen gelangen Plastikpellets, die als Rohmaterial etwa für die Herstellung von Computergehäusen verwendet werden, in die Ozeane. Über Kläranlagen und Flüsse werden zudem Mikroplastikpartikel aus Scheuermitteln, Peeling-Cremes und anderen Kosmetika eingetragen. Die Schifffahrt tut ihr Übriges.Die AuswirkungenWenig weiß man über die Auswirkungen der sogenannten Mikroplastikpartikel, zu denen Teile von einem Durchmesser von bis zu fünf Millimetern zählen. Tiere verwechseln die winzigen Plastikteilchen manchmal mit Nahrung. So konnte Angela Köhler, Leiterin der Arbeitsgruppe Umwelttoxikologie am AWI, jüngst in einem Laborversuch mit hohen Mikroplastikkonzentrationen im Wasser nachweisen, dass Miesmuscheln die Partikel aufnehmen. „Die Muschel strudelt das Mikroplastik mit der Nahrung über ihren ‚Mund‘ in den Magen und von dort in die Mitteldarmdrüse, eine Mischung aus Darm und Leber“, erklärt sie. Doch offensichtlich merkt die Muschel dann, dass es sich bei den Plastikpartikeln um keine Nahrung handelt. Sie werden in den „Mülleimer der Zellen“ gepackt und wieder ausgeschieden. „Wir stellten jedoch fest, dass sie in dem umliegenden Gewebe sehr heftige Entzündungen hervorrufen“, so Köhler.Was die Versuchsergebnisse für die Tiere und Menschen bedeuten, die sich von Muscheln ernähren oder für andere Organismen, die Plastikpartikel direkt aufnehmen, ist noch unklar. „Man weiß, dass die Fische Plastik schlucken, doch man weiß nicht, was das in ihnen anrichtet“, erklärt Nicolai Fricke vom Thünen-Institut für Fischereiökologie.Gift klebt am KunststoffEin weiteres Problem sind Additive, die den Kunststoffen schon bei der Herstellung beigemischt werden und bei ihrem Zerfall wieder frei werden. So stehen Weichmacher und Flammschutzmittel im Verdacht, hormonverändernd zu wirken. Auch docken sich gerne wasserunlösliche, langlebige Toxine wie PCB (Polychlorierte Biphenyle) oder das inzwischen weitgehend verbotene Pflanzenschutzmittel DDT an Mikroplastik an. Somit nehmen die Meeresorganismen nicht nur die winzigen Plastikteilchen selbst auf, sondern mit ihnen auch hochgiftige Substanzen, die sich zudem in der Nahrungskette anreichern.Auch die Politik hat den Plastikmüll in den Weltmeeren inzwischen als Problem erkannt. So fordert die EU in ihrer 2008 verabschiedeten Meeresstrategie-Richtlinie (MSRL) die Mitgliedsstaaten auf, bis 2020 einen „guten Zustand“ der umliegenden Meere wieder herzustellen und in diesem Zuge auch gegen marine Abfälle vorzugehen. Ein konkretes Programm hat die Bundesregierung noch nicht.Es handele sich noch um ein „junges Thema“, erklärt Stefanie Werner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Umweltbundesamt (UBA). Doch wisse man genug, um zu erkennen, dass die Einträge und die bereits vorhandenen Mengen an Kunststoffen unverzüglich reduziert werden müssen. UBA und Bundesumweltministerium planen in Kooperation mit der europäischen Kommission eine Konferenz zum Thema in Berlin. „Dabei soll es vor allem um die Erarbeitung regionaler Aktionspläne für die europäischen Meere gehen“, so Werner.Was tun?Selbst dann, wenn in den nächsten Jahren deutlich weniger Kunststoffe produziert würden und die Menschen sorgsamer mit Abfällen umgingen, bliebe die Frage, was mit dem sich bereits im Meer befindlichen Plastik geschehen soll. Dass sich dieses nicht einfach mal so herausfischen lässt, weiß man spätestens seit der Entdeckung des gigantischen Müllstrudels vor Hawaii. Strömungsbedingt dreht sich hier ein Müllteppich von der Größe Westeuropas. Und das ist nur der sichtbare Teil des Ganzen: Der Großteil befindet sich unter der Wasseroberfläche.Zur Lösung des Problems sucht man derzeit nach Mikroorganismen, die Plastik abbauen können. Forscher um den britischen Wissenschaftler Mark Osborn an der University of Lincoln befestigten in einem Experiment über mehrere Wochen Flaschen aus dem gebräuchlichen Kunststoff PET (Polyethylenterephthalat) an Bojen in der Nordsee. „Schnell bildete sich ein Biofilm auf der Oberfläche, der sich von dem auf anderen Oberflächen wie Glas unterschied“, berichtet Osborns Mitarbeiterin Sonja Oberbeckmann. Man weiß jedoch nicht, ob die gefundenen Bakterien das Material tatsächlich zersetzen. „Es kann auch sein, dass die Bakterien anstelle von Plastik organische Schadstoffe abbauen, die sich im Meer an das Plastik heften.“Zwar keine Mikroorganismen, aber biochemische Stoffe, die am Abbau von PET beteiligt sind, hat Wolfgang Streit, Professor für Mikrobiologie an der Universität Hamburg, im Sediment der Elbe in Hamburg gefunden. Der Fund war kein Zufall: Die Mikroorganismen in dem großstadtnahen Gewässer sind auf dem Abbau komplexer organischer Verbindungen spezialisiert. Nun will Streit im Labor prüfen, ob man die gefundenen Enzyme auch in größerem Maßstab gezielt zur Plastik-Bekämpfung einsetzen könnte. „Das ist alles Neuland und müsste dringend untersucht werden“, erklärt Streit.Prinzipiell ist der mikrobielle Abbau von Kunststoffen möglich. „Aber es handelt sich um einen sehr langsamen Prozess“, warnt Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut. Fest steht deshalb: Wir werden uns noch viele Generationen lang mit den Hinterlassenschaften unserer Zivilisation herumschlagen müssen. Doch zumindest können wir etwas tun, damit der Plastikmüll sich nicht noch weiter anhäuft.