Knausgård für Dummies

Literatur Mikael Krogerus erklärt uns, was man über den norwegischen Beststellerautor wissen muss
Ausgabe 26/2014

Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård (das „å“ spricht man „o“ aus) ist eine ziemliche Nummer. Gerade ist der vierte Band seines sechsteiligen autobiografischen Mammutwerks auf Deutsch erschienen (Leben, Luchterhand), und der Mann ist schon wieder in aller Munde. Das Feuilleton liebt ihn, die Buchhändler lieben ihn. Wer ihn aber liest, der hasst ihn – und kauft sich trotzdem den nächsten Band, einfach weil man nicht anders kann. Hier ein Schnelleinstieg für alle, die mitreden, aber die bisher erschienenen 2600 Seiten nicht nachlesen wollen.

Ich habe noch nie von dem Typen gehört, worum geht es überhaupt?

Knausgård wurde 1968 in Norwegen geboren. Das Werk handelt von ihm und seinem Leben. Halt, bitte weiterlesen! Das Buch handelt von ihm, so wie Moby Dick von Walfischen handelt. Also: ganz viel, aber eigentlich: überhaupt nicht. Tatsächlich ist es eine beängstigend genaue, brillant geschriebene Analyse davon, was es heißt, jetzt zu leben.

Ich habe den Einstieg verpasst. Was ist bisher geschehen?

Band 1 berichtet von Knausgårds Kampf gegen den eigenen tyrannischen Vater, Band 2 erzählt von Knausgårds Leben in einer gleichberechtigten Ehe und dem Kampf mit seinem inneren Patriarchen. Band 3 verhandelt Kampfgårds, pardon, Knausgårds Kindheit.

Worum geht es im vierten Band?

Hier wird auf 618 Seiten sein verzweifelter Kampf beschrieben, endlich Sex mit einem Mädchen zu haben. Viele Rezensenten werden einwenden, eigentlich gehe es um etwas ganz anderes, das Buch zeige die Untiefen des Erwachsenwerdens oder so ähnlich. Aber wer das Buch liest und auf eine knausgårdsche Art radikal ehrlich sein will, muss zugeben, dass dies das Thema ist. Er schreibt’s ja selbst: „Ihre Brüste waren groß, die Beine lang. Was wollte ich mehr? Nichts, das war alles“. Schlimmer Gedanke: Was, wenn es in der Jugend tatsächlich um nichts anderes geht?

Muss man die ersten drei Bände gelesen haben, um das zu verstehen?

Nein. Streng genommen steht jeder Band für sich allein. Trotzdem empfiehlt es sich, alles zu lesen, nur so ist der Wahnsinn des Projekts (und des eigenen Lebens) greifbar.

Ist es nun autofiktional oder autobiografisch?

Man müsste ein neues Wort erfinden, um seinen Stil zu beschreiben. Vielleicht ultrabiografisch? Knausgård hat alles, aber wirklich alles aufgeschrieben und dabei nichts frisiert, null ironisiert. Er ist auf eine rücksichtslose Art und Weise ehrlich.

Stimmt es, dass der Onkel das Werk verbieten lassen wollte?

Ja. Im ersten Band (Sterben) beschreibt Knausgård in seiner gnadenlos-ausführlichen Art den eigenen Vater, ein herzloses Arschloch. Und als sich dieser in der Wohnung der Großmutter zu Tode soff, hielt Knausgård auch da voll drauf und schrieb alles auf. Der Onkel wollte nicht, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Was wiederum viel über Norwegen verrät, ein kleines, konservatives Land. Es gilt, die Fassade zu wahren und zugleich betont man die Autonomie, als Einzelner und als Nation. Ernst Jünger hatte in den 1930ern einige Monate in Norwegen gelebt und eine sehr interessante Beobachtung gemacht: Typisch norwegisch sei es, das Grundstück zu wählen, das am weitesten entfernt war von allen anderen Grundstücken. Die Norweger mögen andere, aber sie sollten auf Abstand bleiben. Es geht darum, besser dazustehen und etwas zu haben, das nur dir gehört. Das sei, sagt Knausgård, auch der Grund, warum Norwegen nicht in der EU ist.

Welches ist der beste Band?

Viele sagen, der zweite (der mit dem modernen Mann in der Familienfalle). Knausgård selbst sagt, der erste (der mit dem Vater).

Wieso heißt das Buch im Original „Min Kamp“ (deutsch: „Mein Kampf“)?

Wird im sechsten Band auf Seite 678 beantwortet. Man kann die Bücher aber auch gut lesen, ohne die Antwort zu kennen.

Ist es ein Männerbuch?

Therapeutisch wirksamer ist es sicherlich für Männer, die fangen spätestens nach dem zweiten Band an, tief in sich zu gehen. Andererseits gab es wohl noch nie in der Literaturgeschichte ein so detailliertes Zeugnis darüber, wie (manche) Männer ticken. Könnte also auch für Frauen relevant sein.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden