In Hollywood brauchen Sie nicht lange nach Ideologie zu suchen, die kommt von allein. In The King’s Speech, dem großen Oscar-Gewinner von 2011, stottert der angehende König, weil er seine Funktion nicht annehmen kann, sich mit seinem Titel nicht identifiziert. Scheinbar demokratische Gefühle: Der König will nicht akzeptieren, dass göttlicher Wille ihn bestimmt. Der australische Sprachlehrer muss den Regenten also wieder so naiv und dumm machen, dass er seine Souveränität als natürlich anerkennt.
In der Schlüsselszene des Films sitzt der Lehrer auf dem Thron. Der König, wütend: Wie er das wagen könne! Worauf jener antwortet: „Warum sollten Sie das Recht haben, auf diesem Stuhl zu sitzen und ich nicht?“ Der Kön
#8220; Der König schreit (und stottert nicht mehr) : „Weil ich König bin von Gottes Gnaden!“ Der Lehrer nickt zufrieden: Der König hält sich endlich für den König, bekennt sich zu seiner absolutistischen Einstellung. Die Lösung, die der Film anbietet, ist reaktionär: Der König wird wieder „normal“, die Wirkung seiner überspannten Infragestellung ausgelöscht.Feministisch und noch reaktionärerDer andere große Oscar-Gewinner des Jahres 2011, Black Swan von Darren Aronofsky, ist ein feministisches Gegenstück zu The King’s Speech – und noch reaktionärer. Der Film geht davon aus, dass eine Frau, die sich ganz ihrer Aufgabe verschreibt (und in diesem Fall versucht, Ballerina zu werden), sich zwangsläufig in die Selbstzerstörung begibt, während ein Mann sich einer Aufgabe verschreiben und dennoch ein normales Privatleben führen kann (wie, nur zum Beispiel, in The King’s Speech). Es geht bei der Frau immer um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.The King’s Speech und Black Swan bekräftigen also beide die familiären Werte des Paares unter männlicher Autorität. Für den Mann bedeutet das die naive Annahme seiner symbolischen Autorität, für die Frau den Rückzug ins Privatleben.Papa RedfordSelbst wenn traditionelle Werte nicht derart direkt affirmiert werden, hat der Rückzug aus der öffentlichen Sphäre ins Familienleben eine eindeutig ideologische Funktion. Das ist etwa in Robert Redfords Film The Company You Keep – Die Akte Grant der Fall, der im Sommer in die Kinos kam. Es geht heiklerweise darum, wie einst militante Linke sich ihrer Vergangenheit stellen.Redford spielt Jim, der sich seit dem Tod seiner Frau allein um die noch kleine Tochter kümmert. Früher kämpfte Jim im Weather Underground gegen den Vietnamkrieg, er wird wegen Banküberfalls und Mordes gesucht. Er versteckt sich erfolgreich, lebt unter falscher Identität als Anwalt in der Nähe von New York. Als dieses zweite Leben auffliegt, taucht er unter und begibt sich auf die Suche nach der einzigen Person, die seine Unschuld (er war nicht der Mörder) bezeugen kann: Mimi (Julie Christie), seine ehemalige Geliebte. Mimi ist von den Zielen der Weathermen noch überzeugt. Sie bereue nicht, was sie getan habe, sagt sie ihm schließlich. Jim antwortet säuerlich: „Ich bin nicht müde geworden, sondern erwachsen.“ Er bittet Mimi, sich zu stellen – seiner Tochter zuliebe.Urahn LubitschEin Rezensent schrieb, der Film verbreite Nostalgie für die Zeiten, in denen Terroristen noch erkennbar angelsächsische Namen trugen. Nichtsdestotrotz thematisiert er das Verschwinden der radikalen Linken aus unserer politischen und ideologischen Wirklichkeit. Die Überlebenden dieser Bewegung sind liebenswerte Zombies, Relikte von gestern in einer ihnen fremdgewordenen Welt. Kein Wunder, dass Redford von Konservativen vorgeworfen wurde, er sympathisiere mit den Terroristen.Beim problematischen Aspekt der Weathermen-Aktivitäten versagt der Film allerdings: der Entscheidung, in den bewaffneten Widerstand zu gehen. The Company You Keep affirmiert die Entwicklung von Jims jugendlichem Enthusiasmus – der in Gewalt umschlagen kann – hin zum reifen Bewusstsein, dass kein politisches Anliegen rechtfertigen könne, Familie und Verantwortung gegenüber den eigenen Kindern zurückzustellen. So gesehen ist der Film das Buch der Verlorenen Illusionen.Von Interesse ist doch: Ist ein Verweis auf Erwachsenwerden und Verantwortung gegenüber der Familie einer neutralen, apolitischen Weisheit geschuldet, die unserem politischen Engagement eine Grenze setzt? Oder ist es ein Einfallstor der Ideologie? Zweiteres zu behaupten bedeutet nicht, Militanz und Terrorismus zu rechtfertigen, sondern nur die Verpflichtung, Militanz aus sich selbst heraus zu beurteilen und zu erklären. Ohne solch radikale Selbstbefragung landen wir am Ende dabei, die herrschende Rechts- und Gesellschaftsordnung als den quasi natürlichen Rahmen zu akzeptieren, der die Stabilität unseres Familienlebens garantiert. Es ist kein Zufall, dass es in The Company You Keep um die Rehabilitierung des Helden geht, der sich bemüht, ein normaler Bürger zu sein.Familiäre Werte als Ideologie?Heißt das, dass jeder Bezug zu familiären Werten als Versuch ideologischer Verschleierung zurückgewiesen werden muss? Ausdrücklich nicht. Dass diese Bezugnahme auch in radikal emanzipatorischer Absicht geschehen kann, zeigt etwa, fern von Hollywood, der Film Strella – A Woman’s Way des Griechen Panos Koutras von 2009. Darin verliebt sich ein Vater nach langem Gefängnisaufenthalt in seinen mittlerweile zur Transfrau gewordenen Sohn, ohne dass das als Inzest gedeutet würde: Der Film endet in aufrichtigem Familienglück.Das stellt die Anwälte des christlichen Werts der Familie auf die Probe. Entweder akzeptieren sie die Kleinfamilie aus Vater, Sohn und adoptiertem Kind oder sie müssen vom Christentum schweigen. Die christlichen Werte der Familie können nur gerettet werden, indem die Idee der Familie dahingehend neu zu fassen, dass sie auch Situationen wie die am Ende von Strella einschließt. Kurz: Strella ist ein Ernst Lubitsch-Film für die Gegenwart über den Ärger im Paradies. Der Himmel kann warten.