Lirum Larum Lampenstiel

Musik Schorsch Kamerun und Sasha Ring alias Apparat haben Musik fürs Theater geschrieben. Nun sind beider Bühnenwerke auch als eigenständige Alben erschienen

Mitunter gebiert die Krise auch Gutes. Auf der Suche nach alternativen Einkunftsmöglichkeiten werden Musiker immer öfter im meist von öffentlichen Geldern finanzierten Theater fündig. Die Lieder, die dort entstehen, verklingen in der Regel mit dem letzten Vorhang. Dem widersetzen sich nun mit zwei neuen Alben Schorsch Kamerun, der schon lange an Schauspielhäusern zuhause ist, und Sasha Ring alias Apparat, der dort im vergangenen Jahr Premiere feierte.

Kamerun gründete 1984 Die Goldenen Zitronen, die sich schnell von der Punkrock- zur schrägen Art-Rock-Band entwickelten, die nicht nur das traditionelle Punkpublikum nachhaltig verstörte. Auf Der Mensch lässt nach hat Kamerun, der eigentlich Thomas Sehl heißt, nun Lieder versammelt, die für das Schauspiel Köln, das Centraltheater Leipzig, das Thalia-Theater Hamburg, die Münchner Kammerspiele und am Düsseldorfer Schauspielhaus entstanden sind.

Sie klingen nicht großartig anders als das, was er seit Jahren für seine Goldenen Zitronen schreibt: Sperrige, widerborstige Stücke, deren Texte sich nur im Notfall reimen und dem Duktus der deutschen Sprache bis zum bitteren, bisweilen ungelenken Ende folgen. Es wird gesagt, was gesagt werden muss übers Kinderkriegen („Unabhängigkeit ist keine Lösung“), Wutbürger („Ich meine ich weine“), Datenkriege („Drohne (dem iPhone in sein Ohr)“) oder Facebook-Sucht („Kinderzimmer“). Viele der Texte sind Collagen aus Fernsehsätzen, Zeitungsausrissen und Gesprächsfetzen, die Poesie passiert eher wie ein Kollateralschaden. Diesem Duktus ordnet sich auch die Musik unter, die trotz eines Instrumentariums, in dem Saxophon, Klarinette und Lampenstiel prominente Rollen einnehmen, die widerspenstige Kraft des Punk entfaltet.

Sascha Ring verfolgt einen anderen Ansatz. Der Berliner, der sich Apparat nennt und erfolgreich den Sprung vom DJ, Remixer und Produzenten zum mit Band tourenden Musiker geschafft hat, gestaltete im vergangenen Jahr die Musik für Krieg und Frieden bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Krieg und Frieden (Music for Theatre) ist zwar nicht unbedingt konventionell geraten, orientiert sich aber doch strukturell eher an klassischen Theatermusiken oder Film-Scores.

Auf die eigene, ausdrucksstarke Gesangsstimme verzichtet Apparat – mit Ausnahme eines Stücks. Auch Anspielungen auf Club-Beats hat er sich verboten, nur das gelegentliche Knuspern elektrischer Schaltkreise erinnert daran. Stattdessen setzt er sein Talent als Klangforscher ein. Elektronisches Schaben und helle Posaunen gehen auf Kollisionskurs, im Track „Austerlitz“ etwa entsteht das Schlachtengetümmel aus der Differenz zwischen einem nüchternen Klavier, einem Cello an der Schmerzgrenze zum Kitsch und drohendem Hintergrundrauschen aus der Maschinenhalle der Hölle.

Schorsch Kameruns Lieder lösen sich, schon weil sie deutsche Texte besitzen, sehr viel leichter vom Theater, sie entwickeln eigene Bilder, fordern den Hörer heraus. Apparats Krieg und Frieden dagegen hat die Eigenschaften einer Klanginstallation, auf die man sich einlassen muss, bevor sie eine eigenständige Kraft entwickeln kann. Mehr als bloßes Bühnen-Beiwerk aber haben beide abgeliefert.

Der Mensch lässt nach Schorsch Kamerun (Buback Tonträger/ Indigo) Krieg und Frieden (Music for Theatre) Apparat (Mute/ GoodToGo)

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