Mafia con salsiccia

Krimi Andrea Camilleris „Tanz der Möwe“ liefert wie immer alles Nötige für eine angenehme Lektüre
Ausgabe 20/2014

Wie Krimis so sind, beginnt die Geschichte in einer allbekannten Szene. Salvadore Montalbano, Freunde nennen ihn Salvo, will nach Jahren ohne Erholung Ferien machen, nur ein Wochenende, mit Livia. Noch mal schnell ins Büro geeilt, dann einfach fort, „ein bisschen in Sizilien herumfahren“. Da ist Chefinspektor Fazio verschwunden, und sein Verschwinden kann mit einem Verbrechen nichts zu tun haben. Montalbano macht sich auf die Suche. In einem italienischen Krimi ist das die Suche nach der Mafia. Also: Brunnengräber ausgeschachtet, den Hafen von Lampedusa beobachtet, das Netz der Schlepper rekonstruiert. Sind es Fische oder Drogen, die in den Booten ankommen?

Die Montalbano-Krimis haben seit Jahren alles Nötige für die angenehme Lektüre. Das sind: „überbackene Auberginen, Pasta con la salsiccia, Caponatina“, dazu jede Menge sprachlicher Lokalismen für den fremden Leser. Und tatsächlich wimmelt es in der Übersetzung an „Buongiornos“, „zwei Espresso“ (sic) und „Prontos“. Schließlich fehlt nicht das leise nation-dissing, das sich nur einheimische Autoren leisten können: „Italien ist eine auf illegalen Drogenhandel, systematische Verspätungen und Geschwafel gegründete Republik.“ Trivialliteratur in Bestform: Alltagsnähe, Fremdverstehen und ein wenig Schauer. Denn es gibt auch Leichen.

Montalbano ist ein Patrone alten Schlags, eine Autorität, die von Straßenpolizisten erkannt wird. Er duzt Mitarbeiter, die ihn siezen, hat eine Partnerin, die sich verständnisvoll zurückzieht, wenn der Kommissar sehr beschäftigt ist, und eine Haushälterin. In diesem Fall hat er zudem eine Doppelagentin an seiner Seite, die ihm sex & fake abverlangt, um die Wahrheit zu erfahren. Fazio wird, mit schwerer Kopfwunde, gerettet. Damit aber sind die Mafiosi noch nicht gefasst. Insbesondere in Süditalien ist ihnen kaum beizukommen. „Ein gehörnter Ehemann findet bei uns vollstes Verständnis. Wenn du dich auf ein Verbrechen aus Leidenschaft berufst, kannst du ein Blutbad anrichten und kommst mit einer Bagatellstrafe davon.“

Die stilisierte Antiquiertheit der Figur verzeiht der Leser, er ist an sie gewöhnt. Denn Montalbano kann einiges. Er ist pflichtbewusst: greift für berufliche Anrufe sofort zum Hörer, während Livia neben dem Gepäck fünf Kapitel warten muss, bis er sich erinnert; er lügt gut: Seinen weniger begabten Vorgesetzten sagt er die Unwahrheit, um in Ruhe weiterermitteln zu können; er tröstet ohne Worte, wenn es sein muss, oder ist schlagfertig, wenn er vom Pathologen etwas wissen muss. Er kommt aber auch allein klar, seine zweite Persönlichkeit hilft ihm, wenn er vor komplizierten Fragen steht.

Ein doppelter Scrocson?

Auch Camilleri stammt aus der alten analytischen Krimischule. Durchgängige Gewalt fehlt in seinen Plots. Die unkenntliche Leiche zeichnet sich aus durch gepflegte Füße. Hier setzen die Ermittlungen an. Es sind die raschen Dialoge und die feinsinnigen Rätseldetails, mit denen der Autor seine Geschichten spinnt. Wie demütigt man einen Tänzer? Wie erklärt man, was ein doppelter Scrocson ist? Was ist ein Zingarelli? Und Camilleri wäre nicht ein Meister seines Fachs, hätte er nicht für diesen neuesten Fall auch die Rapisierung der Welt im Blick. Direkt unter der Gürtellinie wurde eines der Opfer gequält und hinterlässt eine gründliche Sauerei. Das Entsetzen wird der Fantasie überlassen und geht im Gespräch unter: „Ist dir klar, was sie mit Manzella gemacht haben? Sind das Tiere?“ Die Vulgarismen bleiben dezent, auf jeden „dreckigen Hurensohn“ folgt die Anrufung des Himmels: „Madre santa!“

Dagegen bringt der Autor mitten im mafiösen Gefilz noch eine zarte, neuartige Liebesgeschichte unter. Verheirateter Familienvater und Transsexuelle. Mimí, der Begriffsstutzigste in der Ermittlungstruppe, korrigiert sich sofort bei der Verwendung des Akkusativs: „Die … Verzeihung, den Transsexuellen.“ Aktuell, unterhaltsam und lehrreich, ein Krimi wie er früher war.

Der Tanz der Möwe Andrea Camilleri Rita Seuß, Walter Kögler (Übers.), Bastei Lübbe 2014, 272 S., 19,99 €

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