Can-Do-Girls Intelligente, attraktive Frauen erobern die Politik. Der Glamour gibt ihnen Macht. Trotzdem: Noch immer entscheiden andere, wer überhaupt Alphamädchen sein darf
In den öffentlichen Debatten wird jungen Frauen im Moment mit überraschend großer Faszination, mit Enthusiasmus, aber auch mit Besorgnis und Angst begegnet. Es herrscht lustvolle Aufregung. Die Frauen, so heißt es, sind „auf dem Sprung“.
Das Can-Do-Girl als attraktive Vorbotin der sozialen Transformation sei allgegenwärtig, schreibt die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie in ihrem Buch Top Girls – einer Studie über den Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Geschlechtergerechtigkeit ist nach McRobbie ein wichtiger Gradmesser für die Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft geworden. Solange die aber nur schleppend vorankommt, erscheint es als eine notwendige Kompensation, zumindest die Inszenierung zu wagen: Man tut so
Man tut so, als hätten Frauen den Kampf um Gleichberechtigung längst gewonnen.Eine Überraschung ist es daher nicht, dass insbesondere junge Frauen zu den neuen Ikonen politischer Bewegungen geworden sind. Camila Vallejo ist das Gesicht der chilenischen Studentenbewegung; die in der Ukraine geborene Jüdin Marina Weisband kann man hierzulande als die bekannteste Piratin bezeichnen, und auch Die Linke hat mit Sahra Wagenknecht eine neue Protagonistin gefunden.Damit die Erzählung über moderne Revolutionen gelingt, ist es nur logisch, die Rolle von Jugend, Schönheit und Weiblichkeit stark herauszustellen. Denn diese Ästhetik bricht den Alltag der Macht auf: Über den bewussten Kontrast zum ergrauten Politikbetrieb provoziert sie Aufmerksamkeit und bedient den Markt mit sprachgewaltigen Bildern. Doch verfügt diese neue Ästhetik, diese Macht der Schönheit, auch über politische Relevanz?Zuerst einmal offenbart sie eine doppelte Sehnsucht des Publikums: Die Revolution will Utopie. Und Revolutionärinnen können Anhänger für Ideen, die eher ein neues System als ein neues Gesetz erfordern, viel effektvoller mobilisieren. Berufspolitikerinnen und -politiker dagegen mussten diesen Mut längst gegen Tänze um den kleinsten gemeinsamen Nenner eintauschen. Die Forderung nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro tritt keine politische Bewegung los.Man mag dem entgegenhalten, dass radikale Ideen zunächst immer die Aufmerksamkeit eines Publikums wecken, das vom bestehenden System frustriert oder gelangweilt ist. Doch das Konzept einer liquiden Demokratie, wie sie von der Piratenpartei skizziert wurde, ist nur vordergründig utopisch. Wenn Marina Weisband, politische Geschäftsführerin der Piraten, öffentlich die Funktionsweise der Software Liquid Feedback erklärt und diese in der Praxis schon verwendet wird, ist die Idee bereits über die virtuelle Realität hinausgewachsen.Weisband jedoch verkörpert etwas anderes: Längst wird die Abwesenheit alternativer Gesellschaftsentwürfe von vielen bedauert. Diesen Mangel jedoch selbstbewusst einzuklagen, verleiht jungen Menschen zunächst, unabhängig von ihrem Geschlecht, eine lautere Stimme. Aus der Faszination der Weiblichkeit erwächst ein unschätzbarer Vorteil: Frauen können die mediale Inszenierung ihrer Person bewusst vorantreiben, weil sie wissen, dass die Medien sie zum liebsten Gegenstand der Berichterstattung erwählt haben.Die andere Sehnsucht ist die nach einer Pluralität jener, die sich öffentlich zu Wort melden. Im Privaten sind die Geschlechterrollen längst viel flexibler. Dass die politischen Abbildungen mit den Lebensrealitäten der Wählerinnen und Wähler nicht einmal mehr japsend Schritt halten, erzeugt ein Unbehagen, das sich längst nicht mehr auf feministische Kritiker und andere progressive Kreise beschränkt.Das Patriarchat ist müde. Die fehlende Balance der Geschlechter in der Politik hat sich gerächt. Dort, wo Männer überproportional in öffentlichen Positionen agieren, scheitern sie ebenso oft. Der ausgeschiedene FDP-Generalsekretär Christian Lindner, der Raubkopierer Karl-Theodor zu Guttenberg und selbst der Schwiegersohn der Nation, Christian Wulff, haben sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch ihr professionelles Umfeld verunsichert und peinlich berührt.Sie sind die Schmerzensmänner der Politik. Dem Boys-Club fehlen mehr denn je zeitgemäße Bilder von Männlichkeit, die sie gegenüber Politikerinnen konkurrenzfähig machen könnten. Der Hunger auf Frauen, das Verlangen nach ihrem Geist – und nicht nach ihrem Körper – erklärt nicht nur Angela Merkels ungebrochene Beliebtheit, sondern auch, warum das Scheitern von Margot Käßmann so schmerzte. Und warum die Rolle von Michelle Obama im zweiten Wahlkampf ihres Mannes noch einmal an Bedeutsamkeit gewinnt.Frauen werden zu Popstars politischer Bewegungen ausgerufen. Doch das Prinzip „Sex sells“ greift für keine von ihnen: Camila Vallejo, Marina Weisband, Sahra Wagenknecht, die inhaftierte Ukrainerin Julija Timoschenko und ihre Tochter Jewgenija oder Lina Ben Mhenni, Bloggerin und Aktivistin aus Tunesien. Wirken diese Frauen nebeneinander aufgereiht im Scheinwerferlicht wirklich wie eine Girlsband?Nein, im Gegenteil: Wenn normale, attraktive Frauen die politische Bühne betreten, gelten sie plötzlich als glamourös, als so hinreißend, dass man ihren männlichen Kollegen unterstellt, kaum noch einen klaren Gedanken fassen zu können. Das klingt absurd, aber so erscheint es einem tatsächlich, wenn man die journalistische Rezeption studiert. Die Medien legen trotz der Eloquenz und Scharfsinnigkeit dieser Frauen nahe, sie seien schöner als klug, ihr Privatleben von größerem Interesse als ihre politischen Ziele. Dieser Sexismus verdient harsche Kritik.„Steinmeier brauchte damals dringend hübsche Bilder, wenigstens das“, so beschrieb der Spiegel die Ausgangsbedingungen für die Karriere der SPD-Politikerin Manuela Schwesig. Ihrem telegenen Gesicht habe die stellvertretende Parteivorsitzende ihren Erfolg maßgeblich zu verdanken.Diese naiven Kommentare, die Attraktivität und Kompetenz nicht vorurteilsfrei zusammendenken können, lesen sich wie der Selbstschutz einer verletzten Männlichkeit, dem der zunehmende Einfluss kluger Frauen Angst bereitet. Die Frau als eine Form des politischen Wesens unvoreingenommen zu beschreiben, scheint utopisch.Möglicherweise ist dies zu anspruchsvoll für eine Medienlandschaft im digitalen Wandel, deren Selbstvalidierung durch möglichst viele Klicks und Likes erfolgt und der die Ruhe für Analyse und Ernsthaftigkeit abhandenzukommen droht. Dass jedoch vor allem lebhafte, kompetente und anständige junge Frauen mit biederem Charme gefeiert und gefürchtet werden, zeigt, wie konservativ das Verständnis von jener Weiblichkeit ist, die man glaubt, in den Politikbetrieb integrieren zu können.Politisch desinteressierte Jugend?Der Celebrity-Status ist dabei vor allem eine Zuschreibung von außen. In den eigenen Reihen erhalten die Frauen Respekt und Unterstützung. Für die Vergänglichkeit produzierte Popsternchen sind sie dort nicht. Warum auch? Die Beschreibung einer politischen Bewegung als popkulturelles Phänomen ist durchaus richtig, ihre Inhalte damit zu marginalisieren funktioniert jedoch nicht.Das Klischee einer konsumversessenen, politisch desinteressierten Jugend lässt sich mit Blick auf die blanken Zahlen derer, die an Demonstrationen teilnehmen, die sich online organisieren und wählen, nicht aufrechterhalten. Erst in der vergangenen Woche protestierten etwa 100.000 vornehmlich junge Menschen europaweit gegen das internationale Handelsabkommen ACTA. Den Zulauf erhielten die Demonstrationen jedoch nicht aufgrund von Personenkult. Für die digitale Gesellschaft wiegen Freiheitswerte weit schwerer. Eine bezaubernde Lichtgestalt in den Reihen der Regierungen wäre mitnichten in der Lage, diese wachsende Kluft visuell oder über das Image zu schließen.Die 30-jährige Ägypterin Laila Solimann unterstrich, welche Bedeutung der Solidarität in den sozialen Bewegungen zufällt, als sie im Oktober vergangenen Jahres den Willy-Brandt-Preis für besonderen politischen Mut entgegennahm: „Was die ägyptische Revolution auszeichnet, ist, dass sie keine Führer oder Sprecher hatte, und somit behaupte ich jetzt keineswegs eine zu sein. Ich bin nur eine von 86 Millionen, eine Theatermacherin, und ich habe meine Zweifel im Rampenlicht zu stehen, aus Gründen, die nicht mit Kunst zu tun haben. Somit glaube ich eher, dass ich es dem Zufall verdanke, hier vor Ihnen zu stehen. Und vielleicht der Tatsache, dass ich Ihren Vorstellungen von einer Revolutionärin entspreche – jung, unverschleiert, gebildet, nicht religiös, kurz: Ich bin jemand, mit dem Sie sich identifizieren können.“Soliman erkennt die Mode, sie für das individuelle Engagement einer einzelnen Frau auszuzeichnen und damit die zivile Bewegung einer Gemeinschaft nur unzureichend zu würdigen. Sie trifft jedoch noch einen weiteren Punkt: Sie ist eine erfolgreiche, schöne und westlich sozialisierte Frau. Die Sichtbarkeit einer Handvoll junger Revolutionärinnen bedeutet – trotz aller Schönheit dieses Phänomens – noch lange keinen emanzipatorischen Erfolg. Man darf kritisch fragen: Wer kann Alpha-Mädchen sein, darf es sein, soll es sein?Ein Erfolg der jungen Revolutionärinnen wäre es daher, wenn auch die Bewegungen für Geschlechtergerechtigkeit sichtbarer werden und der Erfolg einzelner junger Frauen nicht darüber hinwegtäuscht, dass ein transnationaler Feminismus vor großen Aufgaben steht. Eine Interpretation von Schönheit, die sich aufzugreifen lohnt, liest man bei Eva Illouz: „Als kulturelle Kategorie unterscheidet sich ‚Sexyness‘ von Schönheit. Im 19. Jahrhundert galten Frauen aus der Mittelklasse als attraktiv aufgrund ihrer Schönheit und nicht aufgrund ihres Sex-Appeals. Schönheit verstand man als körperliche und geistige Eigenschaft.“Wenn heute allein der Fakt, eine attraktive Frau zu sein, schon erotisches Kapital genug bergen soll, um der Gleichberechtigung gefährlich nahezukommen, was geschähe dann erst, wenn eine Masse von Frauen beginnen würde, ihr gesamtes weibliches Kapital – als Mensch, Intellektuelle, Aktivistin und Frau – auf die politische Bühne zu bringen?
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