Weltabgewandt und pflegeleicht

Film Guillaume Nicloux‘ Forumsbeitrag "Die Entführung des Michel Houellebecq" ist ein Spielfilm, der auf unterhaltsame Weise stets dokumentarisch lesbar bleibt
Ausgabe 07/2014
Weltabgewandt und pflegeleicht

Foto: Screenshot, Trailer

Michel Houellebecq ist ein vergleichsweise pflegeleichtes Entführungsopfer. Macht keinen Lärm, zeigt aufrichtiges Verständnis für das nicht ganz zu Ende gedachte Projekt der Täter, trägt wesentlich zur geselligen Grundstimmung bei. Leichte Protestnoten reicht der kettenrauchende Autor nur ein, um wieder an sein Feuerzeug zu kommen. Schön wäre ein anderer Rotwein, am besten aus dem Ribera del Duero.

Die Entführung des Michel Houellebecq zeigt den Künstler als nicht mehr jungen Mann. Klapprig und kränklich sieht er aus, die Hosen zu weit, der schlurfende Gang beinah frühvergreist. Andererseits erweist sich der Schriftsteller als gedanklich wach und selbstironisch. In knapp hingeworfenen Sätzen nimmt er zwischendurch ungefragt Stellung zu Fragen der Literaturästhetik. Führt man ihm eine Prostituierte zu, bedankt er sich mit einem selbstverfassten Gedicht, das der Mutter eines Täters schmeichelt. Selbst bei Boxübungen mit seinen hünenhaften Entführern lässt er sich nicht vorführen. Eine weltabgewandte Aura milder Gelassenheit umgibt und schützt ihn.

Guillaume Nicloux‘ Forumsbeitrag ist ein Spielfilm, der auf unterhaltsame Weise stets dokumentarisch lesbar bleibt. Houllebecq spielt sich selbst mit so wenig Begabung zur Maskerade, dass die fiktionale Rahmung schnell als ideale Bühne für unverstellte Auftritte erscheint. Auf dieser Rampe darf der Schriftsteller zu seinen eigenen Konditionen performen, auch wenn seine Hände situationsbedingt meist gefesselt sind. Schön ist die Solidarität Houellebecqs mit dem proletarischen Milieu der Entführer. Auf dem Schrottplatzareal, umgeben von Bodybuildern und mächtigen Vokuhilafrisuren fühlt er sich heimischer als in den „skandinavischen“ Interieurs, die seinem Pariser Innenarchitekten vorzuschweben scheinen.

In gewisser Weise umgekehrt geht ein weiterer Film der Forumssektion vor, dessen dokumentarische Versuchsanordnung sich fiktional eintrübt. In Iranien sperrt sich der liberale, meist in Frankreich lebende iranische Regisseur Mehran Tamadon mit vier Verfechtern des Teheraner Regimes ein, um mit ihnen einen offenen politischen Diskurs zu führen.

Ferienhausgemeinschaft

Das Ferienhaus, in dem die Gruppe den offiziell unmöglichen Dialog probt, hat neben einzelnen Gästezimmern einen geteilten Wohnbereich, der als Metapher der Begegnung, des Austauschs fungiert. Spielerisch, ohne Furor, mit viel Gelächter prallen die Positionen aufeinander. Die Urlaubsatmosphäre verrückt das Sprechen in ein weniger unnachgiebig klingendes Als-ob.

Tamadon ist Atheist, seine Opponenten sind im Kern starrsinnig misogyne Mustertheokraten, die selbst Musik mit weiblichem Gesang im Wohnzimmer verbieten möchten. Der Antagonismus ist, dem Nennwert des Gesagten nach, fast modellhaft ideologisch verhärtet, wird aber zugleich dementiert durch den geteilten Alltag im Ferienhaus, das gemeinsame Kochen, Essen, Plaudern zwischendurch.

So scheint es, als würde die zunächst naive Metapher der Hausgemeinschaft als konkrete Utopie unmittelbar Umgangsformen motivieren, deren Praxis gesellschaftsweit hochgerechnet Realitäten hervorbringen würde, die dogmatisch nicht wieder ohne Weiteres einzukassieren wären. Dass der Filmemacher nach Abschluss der Dreharbeiten längere Zeit Schwierigkeiten hatte, wieder nach Frankreich auszureisen, zeugt allerdings davon, dass das iranische Regime noch nicht wirklich urlaubsreif ist.

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