Lotterien waren einmal der beste Freund des Sports. Der Deutsche Lottoblock wurde 1948 sogar mit dem ausdrücklichen Ziel der Sportförderung gegründet. Je nach Bundesland landen ein Viertel bis die Hälfte aller Lottosteuern der staatlichen Wettbetriebe beim Leistungs- und beim Breitensport. Doch diese schöne Beziehung wird mittlerweile von den Millionenwetten auf verschobene Fußballspiele überschattet. Vor allem Wettanbieter in Asien gelten als Plattformen der Zerstörung. Hier werden Gelder in Dimensionen generiert, bei denen auch den Experten der Polizeibehörde Interpol die Bestechungssummen für Profisportler wie Beträge aus der Portokasse vorkommen.
„Alle Beweise, die wir haben, deuten daraufhin, dass Spielmanipulation von der or
von der organisierten Kriminalität als eine beachtliche Gelegenheit wahrgenommen wird“, erklärte John Abbott, Leiter der Abteilung Sportintegrität bei Interpol, dem Freitag am Rande einer Konferenz für Sportsicherheit in Doha. Vertreter der staatlichen Wettbetriebe fordern mittlerweile eine Neujustierung der gesamten Branche. Nur der Sport hält sich aus der Debatte zurück. Das wurde auch an den aktuellen Diskussionen um die Neufassung des Glücksspiel-Staatsvertrags in Deutschland deutlich.Das Beispiel DebrecenSelbst wenn kommenden Samstag im Wembley-Stadion die Spieler des FC Bayern München und von Borussia Dortmund das Finale der Champions League bestreiten, werden nicht nur Millionen Augenpaare von Sportfans an ihren Füßen haften. Eine kleine dekadente Elite wird dann auch herauszubekommen versuchen, ob ein verursachter Einwurf, ein folgenschwerer Stellungsfehler oder ein Abspiel ins Nirgendwo nicht Hinweis auf eine Absprache sein könnten – und nach diesen Erkenntnissen ihre Wettstrategie ausrichten. Angehörige dieser Elite können überall sitzen: Unter Polizeischutz in Ungarn etwa, wo sich der einstmals geständige, nach Ermittlerangaben aber wieder ins Wettgeschäft zurückgekehrte Singapurer Bestechungskönig Wilson Raj Perumal aufhält. Im Berliner Café King, der Heimstatt des in den Bochumer Wettskandalprozessen berüchtigt gewordenen Brüderpaares Milan und Ante Sapina.Oder in einer kleinen Wettbude in einer nach Papst Johannes Paul II. benannten Einkaufspassage in einem Vorort der Adriastadt Pescara, die Massimo Erodiani gehört, einem der Strippenzieher des 2011 aufgedeckten und nach Einschätzungen von Ermittlern immer noch nicht ganz lahmgelegten Betrugsnetzwerks im italienischen Fußball. Oder auch in Singapur, wo Eng Tan Seet, genannt Dan Tan, einer der mutmaßlichen Köpfe eines weltumspannenden Wettbetrügersyndikats in einem eher unauffälligen Wohnkomplex am Rivervale Crescent residiert.Ob einer dieser Herren seine Finger im Spiel in Wembley hat, ist reine Spekulation. Und möglicherweise auch zu viel der Ehre für sie. Wundern dürfte man sich angesichts der Dynamik von systematischer Spielmanipulation aber nicht. In die Gruppenphase der Champions League drangen die Betrugssyndikate schon vor. Vukasin Poleksic, Torwart des FC Debrecen, wurde mit einer zweijährigen Sperre belegt, weil er Kontakte mit Manipulatoren vor den Spielen gegen den FC Liverpool und den AC Florenz in der Saison 2009/10 nicht angezeigt hatte. Die Spiele tauchten auch in der Statistik der 380 verdächtigten Partien der „Operation Veto“ von Europol auf.Nun ist Dortmund nicht Debrecen und Manuel Neuer nicht Poleksic. Aber die inzwischen bekannt gewordene Zockermentalität des Bayernpräsidenten Uli Hoeneß, der denkwürdige Auftritt der Mächtigen des FC Bayern in einem Werbespot des Wettanbieters und Bayernsponsors bwin in der letzten Saison und die seltsamen Begleiterscheinungen der 0:4-Niederlage der Bayern im Halbfinale des UEFA Cups 2008 gegen St. Petersburg sind allesamt keine Beruhigungsmittel.Zwar ist es ein entscheidender Schritt von der Börsenspekulation hin zum Insiderhandel oder auch vom Wetten auf Sportereignisse hin zum Zurichten derselben. Manipulationen im Sport stehen jedoch mit der Wettleidenschaft und der daraus resultierenden Angreifbarkeit einzelner Sportler in direkter Verbindung. Das belegt der italienische Skandal. Der frühere Nachwuchsauswahltorwart Marco Paoloni, immerhin U19-Europameister 2003, versuchte 2010 seine Mitspieler mit einem Beruhigungsmittel so zu beeinträchtigen, damit der Gegner zu jenen Toren kommen möge, die er und seine Hintermänner auf ihren Wettscheinen bereits notiert hatten. Mit einer Anzeige in diesem Fall begann das Ermittlungsverfahren „Last Bet“.Paoloni gab gegenüber dem Freitag Spielsucht als Triebkraft an. Roberto di Martino, Leiter von „Last Bet“, stieß bei den Verhören von insgesamt 160 Verdächtigen, die meisten davon aktuelle und ehemalige Profifußballer, darauf, dass 70 Prozent aller Sportler auf ihren Sport auch wetten. Für ihn ist dies eine Ursache potenzieller Manipulierbarkeit. In diesem Licht betrachtet wirkt es bedenklich, wenn Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und der Finanzvorstand der Bayern Franz Dopfner als Paten à la Al Pacino zum Wetten auf den Fußball auffordern.Nahezu StraflosigkeitDer Spot war seinerzeit vor allem wegen der Gefahr, Spielsucht auszulösen, kritisiert worden. Helmut Spahn, ehemaliger BKA-Beamter, Sicherheitschef des DFB bei der Heim-WM 2006 und jetzt bei einem privaten Sportsicherheitsunternehmen in Katar angestellt, hielt den Spot auch wegen der Wettbetrugsproblematik für äußerst ungünstig. „Als PR-Berater von Bayern München hätte ich gesagt: ‚Lass uns mal ein bisschen vorsichtig sein“, sagt er im Gespräch. Der FC Bayern ließ nicht nur Sensibilität vermissen. Der Spot strahlte ein Selbstbild aus, das zu einer Neuinterpretation der Affäre des 0:4 gegen Zenit St. Petersburg geradezu auffordert. Vertreter der Russenmafia erwähnten damals eine Zahlung von 50 Millionen Euro an die Bayern als Ursache für das klare Ergebnis. Die UEFA ermittelte zwei Jahre lang – ohne Folgen.Dass der Sport ein so unsicheres Terrain geworden ist, hängt mit einer massiven Veränderung des Wettmarkts zusammen. „Der Mensch, der jede Woche brav seinen Tippschein ausfüllt, ist von professionellen Wettern in den Hintergrund gedrängt worden“, meint Friedrich Stickler, Präsident der Vereinigung der europäischen Lotterien. Teil dieser Gruppe professioneller Wetter sind Finanzexperten des organisierten Verbrechens, die die illegal erworbenen Gelder bei Wetteinsätzen waschen und zur Sicherung dieser Operation gleich noch die Resultate auf dem Spielfeld programmieren lassen. Stickler begründet die „zunehmende Attraktivität des Wettmarkts für das organisierte Verbrechen“ mit der fast vollkommenen Straflosigkeit für diese Delikte: „Es gibt so gut wie keine Sanktionen. Wer wegen Drogenhandel oder anderen schweren Verbrechen erwischt wird, kann das Leben verlieren. Wer ein Spiel manipuliert, wird allenfalls nach Hause geschickt und bekommt gesagt: Mach’s bloß nicht wieder!‘ Das ist doch eine Einladung!“Stickler sieht dabei vor allem die asiatische Konkurrenz als betrugsfördernd an. Die Vorteile dieses Systems für den kriminellen Profi-Wetter bestehen in fehlenden Beschränkungen beim Maximaleinsatz, der Anonymität beim Platzieren der Wette, im Bargeldverkehr, der eine Nachvollziehbarkeit der Geldflüsse erschwert, sowie bei bestimmten Livewetten, die zu Manipulationen geradezu einladen.Stickler erklärt hier Handlungsbereitschaft der staatlichen Lotterien: „Man kann auf Wetten auf gelbe Karten und Ecken verzichten. Mit dem Ausgang des Spiels hat dies nichts zu tun. Und ein Sportler gerät mit einer solchen kleinen Manipulation, die der Mannschaft ja nicht entscheidend schadet, in ein Betrugsfahrwasser.“ Er schlägt vor, Jugendspiele und Teile des Amateurbereichs frei von Wetten zu halten, und kritisiert die Sportverbände, dass sie den Dialog noch gar nicht aufgenommen hätten. Da passt es ins Bild, dass Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds, bei den Debatten um den neuen Glücksspiel-Staatsvertrag nicht mit Stellungnahmen zur Verteidigung des Sports gegenüber Wettmanipulationen auffiel, sondern nur beklagte, dass eine Werbung mit der Aussage, Wetten förderten den Sport, nicht erlaubt sei.Gedanklich weiter sind da die Vertreter der staatlichen Lotterien wie auch der Privatanbieter, zumindest in Europa. Sie beklagen den Imageverlust ihrer Branche durch die Manipulationen. Jörg Wacker, Direktor von bwin, stellte in einem Gespräch mit dem Handelsblatt die Internetwetten seiner Firma als „sicherstes Medium“ heraus. „Jede einzelne Wette wird in Echtzeit überwacht. Alle Einsätze können lückenlos nachvollzogen werden. In Asien hingegen werden die Wetten zum Großteil mit Bargeld platziert.“ Er beklagte auch Wettbewerbsnachteile wegen zu starker Reglementierung der deutschen Glücksspielbranche gegenüber asiatischen Anbietern. Ihm kann geholfen werden. Staatslotto-Vertreter Stickler schlägt vor: „Das einzig Sinnvolle im Kampf gegen die illegalen Betreiber wäre das Blocken ihrer Websites und das Verhindern von Geldtransfers auf diese Seiten.“Das klingt konsequent. Dann dürfte auch das verlorene Lottoparadies der Kleinwetter auf Renaissance hoffen. Und Sportliebhaber könnten aufhören, hinter dem Geschehen auf dem Rasen obskure Regieanweisungen zu vermuten. Ohne konkretes Handeln wird dies jedoch nichts.
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