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Urteil Ärztekorruption wird bisher kaum verfolgt. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) befunden – Ärzte können nicht bestechlich sein
Wer große Taschen hat, will sie gefüllt sehen
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Foto: Fotostream von Heipel

Nur wer viel Geld hat, überlebt. Das mag sich manch einer gedacht haben, als er dieser Tage in der Presse vom neuesten Organhandel-Skandal las: Ein leitender Arzt der Göttinger Uniklinik hat offenbar Dokumente gefälscht, um den üblichen, an medizinischer Dringlichkeit orientierten Vergabeweg von Spenderorganen über die Zentrale von Eurotransplant zu beeinflussen und einem reichen russischen Patienten eine neue Leber zu verschaffen. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt, der Arzt, der in diesem Bereich – ohne Folgen! – schon einmal auffällig geworden war, wurde „in gegenseitigem Einvernehmen“ entlassen.

Einmal davon abgesehen, dass solche Fälle die Bereitschaft der Bundesbürger, Organe zu spenden, nicht gerade fördern dürfte, scheint da nur die Spitze des Eisbergs auf: Ärztekorruption ist in diesem Land ein unterschätzter Skandal. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil am vergangenen Freitag leider dafür gesorgt, dass dies weiter so bleiben wird. Und jeder sich omnipotent wähnende Weißkittel, der Geschenke von der Pharmaindustrie oder sonst irgendwem annimmt, darf sich auch weiter unschuldig fühlen.

In dem aktuellen, nun vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streit geht es um einen Arzt, dem von einer Pharmareferentin Herstellerrabatte versprochen und getarnte Honorarschecks übergeben worden waren. Im Kern geht es dabei um die juristisch relevante Frage, ob Ärzte selbstständig agieren oder, wenn sie eine Kassenzulassung haben, im Auftrag der Krankenkassen handeln – und damit Amtsträger sind. Das Landgericht Hamburg hatte Letzteres bejaht und deshalb gegen beide eine Geldstrafen wegen Bestechlichkeit verhängt. Der Arzt akezeptierte das Urteil, die Pharmareferentin zog dagegen vor den BGH. Dieser urteilte, dass die Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuches auf Ärzte nicht anwendbar sind, obwohl sie für die Privatwirtschaft gelten. Demnach führen ausschließlich Ärzte eine Existenz auf der Insel der Seligen.

Ein Freifahrtschein

Bis zu 18 Milliarden Euro, sagt Edgar Franke, SPD-Berichterstatter zum Thema Korruption im Deutschen Bundestag, gehen den Krankenkassen und damit den Versicherten jährlich durch ambulante und stationäre Falschabrechnungen oder direkte oder indirekte Korruption verloren. Das sind an die zehn Prozent der gesamten Gesundheitskosten. Da in Deutschland – aus gutem Grund – für Arzneimittel nicht geworben werden darf, sind die Ärzte das größte Einfallstor für Pharmaunternehmen und Medizinprodukthersteller. Doch selbst strafrechtlich eindeutige Delikte werden kaum verfolgt, weil die Staatsanwaltschaften darauf meistens nicht spezialisiert sind. Und wenn sie es sind, wie Marcus Röske von der Staatsanwaltschaft Verden, dürfte das BGH-Urteil ihm die Arbeit nun deutlich erschweren. Röske hatte schon vor einem Jahr während eines SPD-Hearings die problematischen Folgen eines solchen Urteils prophezeit. Erst kürzlich wurde ein Antrag der SPD im Bundestag, Ärztekorruption nachdrücklicher zu verfolgen, abgeschmettert.

Die Ärzte ihrerseits erkennen überhaupt kein Problem. Sie sehen sich, wie Klaus Reinhard vom Hartmann-Bund, „an erster Stelle dem Patientenwohl verpflichtet“ und nicht den Krankenkassen. Mit „Nein“, beschied auch der Chef der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, die Frage im Deutschlandradio, ob Ärzte nach dem Urteil nun nach Lust und Laune Geschenke annehmen könnten. Man solle sich doch einmal vorstellen, konterte Montgomery, ein Arzt, der eine Salbe verschreibt, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellt oder eine Massage verordnet, werde als „Amtsträger“ in die Pflicht genommen. Das könne doch nicht im Sinne des Patienten sein, weil damit das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestört werde. Der Einwand ist sogar nachvollziehbar, denn das Gegenstück ist der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der zum Beispiel bei der Begutachtung von Pflegebedürftigkeit in deren Auftrag handelt – nicht immer zum Vorteil der Betroffenen. Andererseits: Wie sieht es um dieses Vertrauen aus, wenn der Patient fürchten muss, dass sein Arzt von der Industrie geschmiert ist?

Ein Arzt, wissen wir nun höchstrichterlich, ist generell unbestechlich! Prima. Und weil das so ist, kann auch eine Pharmareferentin, obwohl sie eine Angestellte ist und eigentlich privatrechtlich unter Korruptionsverdacht fiele, nicht belangt werden. Das ist die Moral des BGH-Urteils.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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