Der Mensch war für ihn das schlechteste vom ganzen Gezücht – und die Welt sein erklärtes Feindbild. Ja, man kann nicht sagen, dass Louis-Ferdinand Céline, der große Anarcho-Nihilist mit demagogischem Talent, eine umgängliche Persönlichkeit gewesen wäre. Laut und polternd verachtete er das bürgerliche Leben und die Verkommenheit des Fin de Siècle, dem er selbst entsprang.
Céline sehnte sich nach einem elendsverliebten Leben, das so intensiv war wie ein Roman. Er war kein rein fiktiver Schriftsteller und kein rein realer Autor. Er war die Schnittmenge der tausend Leben die er führte, oder um genauer zu sein: die er vorgab zu führen.
Der rebellische Rüpel-Bonvivant inszenierte sich in der Öffentlichkeit stets in se
der Öffentlichkeit stets in seinen verschiedenen Rollen, die wie Zahnräder ineinander griffen und seine Darstellungsmaschinerie betrieben. Er präsentierte sich als Intellektueller mit einer proletarischen Herkunft, Tapferkeitsmedaillen-Träger, Teilinvaliden, (Armen-)Arzt, verkanntes Genie, Schürzenjäger, Asphalt-Literat und als vertriebener Antisemit – eine Position, von der er sich Zeit seines Lebens nie distanziert hatte, was ihn bis heute zum Geächteten macht.Louis-Ferdinand Céline wurde am 27. Mai 1894 in Courbevoie, im Pariser Speckgürtel, geboren. Das würde Ihn in diesen Tagen 120 Jahre alt machen. Vielleicht kein Grund zum Feiern, aber durchaus Grund genug, seiner literarischen Bedeutung und seiner Person nachzugehen. Denn, ob man ihm nun wohlwollend gegenüber steht oder nicht, Célines Relevanz in der heutigen Literatur ist nicht von der Hand zu weisen. Sein Werk, seine Romane, seine radikale Literaturerneuerung sind bis heute spürbar.Lärmende VulgäroperDie moderne Literatur bedient sich nach wie vor der Céline'schen Sprachtradition, die die ungeschönte, gesprochene, vulgäre Sprache literarisiert. Oft wird dabei vergessen, wer mit diesem Gestus angefangen hat.„Ich sag es Ihnen, die Welt ist nichts als eine Riesenunternehmung zum Bescheißen der Leute!“, schreit esaus Célines Roman Reise ans Ende der Nacht heraus. Es war der literarische Paukenschlag und Grund bourgeoiser Zornesfalten des Jahres 1932. Nichts in der Literaturgeschichte war mit dieser lärmenden Vulgär-Oper vergleichbar. Céline brach und erneuerte mit seinem jähzornigen Ziegel von Roman die französische Literaturtradition. Er schuf eine direkte, radikale Sprache und damit einen unverkennbaren Stil, bei gleichzeitiger, brisanter Themenwahl. In seinen Werken ließ Céline die Fetzen fliegen wie kein anderer.Es ging ihm um soziale Missstände, den ersten Weltkrieg, Wut auf das Bürgertum, Hass, sexuelle und andere Schweinereien – alles in allem: um Galionsfiguren menschlicher Abgründe – in denen er sich wiederfand. Céline brach donnernd über dem literarischen Frankreich ein und verbreitete sich schlagkräftig. So sehr er als Person in Frankreich verachtet und abgelehnt wird, wird er dort – der literarischen Qualität nach – mit Marcel Proust gleich gesetzt. In Deutschland ist er der breiten Leserschaft aber eher unbekannt.Der KollaborateurCéline machte keinen Hehl daraus und gestand nie, etwas unrechtes getan zu haben – er war handfester, kompromissloser Antisemit und Nazi-Kollaborateur. Neben den literarisch virtuosen und im Kern ideologiefreien Hauptwerken verfasste Céline zwischen 1936 und 1941 vier antisemitische Pamphlete, Mea Culpa, Bagatelles pour un massacre, L'École des cadavres und Les Beaux Draps – das wohl am leichtesten zu wertende und das am schwierigsten zu dechiffrierende Kapitel in Célines Biographie. Dabei wurde sein erster Roman noch mit den lautesten Freudenschreien der Linken aufgenommen, gar als erster kommunistischer Roman gepriesen. In den späteren Pamphleten übernahm Céline jedoch sämtliche Metaphern und Stereotypen des Hitler'schen Antisemitismus und wärmte sie mithilfe seiner hasserfüllten Sprache neu auf.Es scheint im ersten Moment, als wäre es eine Beugung des damaligen Zeitgeists gewesen – war er neben Georges Bernanos, Pierre Drieu La Rochelle, Paul Valéry, André Gide und vielen anderen französischen Schriftstellern, ja nicht der einzige – doch bloß eine modische Veränderung des Gedankenguts war es gewiss nicht.Die Ideologie steckte tief in ihm. Und das ließ ihn im vergangenheitsbewältigenden Deutschland in Vergessenheit geraten. Sein Roman Reise ans Ende der Nacht galt hierzulande lange Zeit als Geheimtipp, denn zusätzlich gab es bis 2003 keine vernünftige Übersetzung, die dem französischen Original gerecht wurde - nur eine um 50 Seiten, sowie politisch und sprachlich verstümmelte, von 1933.Grundsteine des ExistenzialismusEs ist schwierig den Schriftsteller von seinem Werk zu trennen und man darf es eigentlich nur so handhaben, wie Philip Roth, seines Zeichens Jude, der 1984 in der Literaturzeitschrift La quinzaine littéraire sagte: „Er ist ein großer Schriftsteller. Auch wenn sein Antisemitismus ihn zu einer widerwärtigen, unerträglichen Gestalt macht. Um ihn zu lesen, muss ich mein jüdisches Bewusstsein abschalten, aber das tue ich, denn der Antisemitismus ist nicht der Kern seiner Romane.“Es ist nun über 82 Jahre her, dass Céline die literarische Bühne betreten hat, aber noch heute gilt er als eine der aufregendsten und modernsten Stimmen, die je zu hören waren.Der Mann, der in seiner Abwesenheit aus Frankreich ebendort zum Tode verurteilt wurdet, legte in seinen Hauptwerken lange vor Camus, Sartre und Genet die Grundsteine der existentialistischen Literatur. Seine Innovationen bezogen sich nicht nur auf die sprachliche Revolutionierung, sondern: er schuf auch das – in dieser Vehemenz noch nicht vorhandene – Genre des Lebensromans. Er hätte einer der bedeutendsten Schriftsteller aller Zeiten werden können. Stattdessen machte er sich zur finsteren Gestalt, zum Ewiggestrigen, zum Scheusal, das auf sehr ungalante Art all das mit dem Hintern einreißt, was er hätte aufbauen können.Der Umgang mit Céline ist ein sehr sensibles Thema, bei dem mit den Fingerspitzen nicht weit von mit der Kneifzange entfernt ist. Aber auch das macht einen großen Teil der Faszination Célines aus.
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