Es geht ums Ganze, und wie immer steckt der Teufel dabei im Detail. Das Ganze ist in diesem Fall die Buchpreisbindung und mit ihr der Fortbestand des Abendlandes, das immer dann ins Spiel kommt, wenn der kulturelle Untergang droht. Der Teufel heißt Libro und sitzt, wo er gerne sitzt, in Österreich. Von dort aus brachte er via Internet mit Billigangeboten Angst und Verderben über die deutsche Buchkultur, für die die Buchpreisbindung etwa das ist, was dem Bier das Reinheitsgebot. Ohne geht es nicht - zumindest nicht für die kleinen Buchhändler und weniger marktgängige Bücher -, und deshalb heißt es nun: Wehret den Anfängen! Am vorläufigen Ende der Auseinandersetzung aber standen in der vergangenen Woche Razzien bei Aufbau und Bertelsmann
ann, beim Deutschen Börsenverein in Stuttgart und dem Großhändler KNO, denen die Brüsseler EU-Wettbewerbskommission "unerlaubte Absprachen" gegen den Billiganbieter vorwarf. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man sich in den Kreisen der Wettbewerbswächter ausdenken kann. Dabei hatte die Buchbranche sich gerade noch in ihrem Erfolg gesonnt. Die Siegesgesänge von Kulturstaatsminister Michael Naumann und den Vertretern des Deutschen Börsenvereins klangen noch in den Ohren. Nach jahrelangem zähen Ringen mit der EU, der die grenzüberschreitende Preisbindung zwischen Deutschland und Österreich missfiel, sei die Buchkultur in einem glücklichen Kompromiss erfolgreich verteidigt. Am 1. Juli trat die neue EU-Verordnung in Kraft, die die Preisbindungen in Deutschland und Österreich im nationalen Rahmen bestätigt, zugleich aber für den grenzüberschreitenden Warenverkehr abschafft. Der Online-Buchverkauf über das Internet wird in diesem Papier ausdrücklich von der Preisbindung ausgenommen, und auch Re-Importe aus dem Ausland werden grundsätzlich erlaubt, solange sie nicht ausschließlich dazu dienen, die Preisbindung zu unterlaufen.Die Verordnung könnte kaum schwammiger und widersprüchlicher formuliert sein. Sie liest sich so, als sei das Patt der Interessensgegensätze ungefiltert zum Gesetz geworden. Die EU-Kommission hatte nicht den Mumm, die erwünschte Abschaffung der Preisbindung explizit durchzusetzen. Der Börsenverein war blind genug, schon das für einen Erfolg zu halten. Dass eine nationale Regelung, die das Internet ausklammert, in Zeiten der Globalisierung nichts wert ist, hätte allerdings klar sein können. Die österreichische Libro AG, ein Mischkonzern, der neben Diddelmäusen, Papierwaren und allem möglichen Krimskrams auch Bücher verkauft, machte sich diese prekäre Gesetzeslage zu Nutze und bot über seinen Online-Dienst Bestseller mit Rabatten von bis zu 20 Prozent an. In den Libro-Filialen in Deutschland wurden die potentielle Bücherkäufer an Computer-Terminals geführt, damit sie ihre Bestellungen doch gleich Online in Österreich vornähmen.Viele große Verlage reagierten darauf verärgert. Der Verkauf von deutschen Büchern nach Deutschland mit einem bloß virtuellen Auslandsaufenthalt könne doch wohl kaum als grenzüberschreitender Warenverkehr betrachtet werden und sei also gesetzwirdrig. Etwa 30 deutsche Verlage und Großhändler entschlossen sich deshalb zu einem Lieferstopp gegen den österreichischen Händler. Libro reagierte darauf mit einer Fülle von Klagen, die wie mit dem Schrotgewehr flächendeckend abgefeuert wurden. Man klagte in Gestalt der österreichischen Libro AG, der deutschen Tochter Libro-GmbH und des Onlinedienstes Lion.cc gleich dreifach gegen seine Boykotteure und reichte zudem Kartell-Klage wegen unerlaubter Absprachen der Verlage ein. Während man vor Gericht in zwei Fällen gegen Grossisten erfolgreich war, verlor man Mitte Juli die erste Verhandlung gegen den Berliner Aufbau Verlag. Aufbau darf Libro auch weiterhin nicht beliefern, und es zu vermuten, dass die Verfahren gegen die andere Verlage ähnlich geendet hätten. "Ich muss ja auch nicht jeden südfranzösischen Puff beliefern", sagte Aufbau-Chef Lunkewitz.Also entschloss sich Libro, den Online-Discount-Verkauf auszusetzen und gab kund, sich ab sofort wieder an die Ladenpreise zu halten. Vorläufig. Seine Ziele - werbewirksame, flächendeckende Aufmerksamkeit und eine volle Breitseite gegen die Preisbindung - hatte der Konzern ja bereits erreicht. Jetzt ist es Sache der Gerichte, aus der diffusen EU-Verordnung haltbare gesetzliche Grundlagen zu zimmern. Die Justiz muss die Arbeit übernehmen, die eigentlich politisch hätte bewältigt werden müssen. Sie muss nun darüber entscheiden, ob die heilige Freiheit des Marktes höher zu veranschlagen ist als der kulturelle Wert des Buches und der Fortbestand des bestehende Buchhandelssystems.