Neue Welle

Gebot Der Papst will zwar Armut stärker bekämpfen, aber er knüpft nicht an die Befreiungstheologie an
Ausgabe 13/2013

Papst Franziskus betont gerne, er „möchte eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen“. Eine Kirche für die Armen – das sollte in der christlichen Konsequenz heißen, die himmlisch reiche Kirche alleine in den Dienst derjenigen zu stellen, denen ein Leben in Würde und ohne Hunger bisher von der Mehrheitsgesellschaft versagt wurde. Manch einer fühlt sich angesichts solcher Sätze an die Befreiungstheologie erinnert, die ebenso wie der Papst aus Lateinamerika stammt.

Als in den siebziger Jahren die ersten Berichte von befreiungstheologisch orientierten Kommunen über den kalten Atlantik des Kalten Krieges schwappten, gefror wohl so manchem strengen Kirchenjünger das Herz, erwärmte es aber so manchem Hippie. Nicht wenige Linke erblickten in diesen Gemeinschaften eine Heimstatt des warmen Friedens. Dabei hatte die Befreiungstheologie eine genuin kämpferische Ausrichtung: Vor allem der Priester Ernesto Cardenal aus Nicaragua wurde bis weit in die bürgerlichen Kreise zur Kultfigur. Als Mitglied der Studentenbewegung UNAP kämpfte er mit dem Gewehr in der Hand gegen das faschistische Somoza-Regime, nach dessen Sturz wurde er Minister in der ersten sandinistischen Regierung. Cardenal glaubte nicht, dass der Herr es den Seinen im Schlafe gibt. Vielmehr rief er sie dazu auf, sich zu nehmen, was ihnen zusteht – notfalls auch mit Waffengewalt. Mit dieser Auslegung des Gerechtigkeitsgedankens stand er in den katholischen Gemeinden Lateinamerikas nicht alleine.

Die feudalistischen Gesellschaftsordnungen dort zwangen Millionen in Armut. Arme Gemeinden in Brasilien und Mittelamerika versuchten, dem rätedemokratische Strukturen entgegenzusetzen, Kooperativen zu gründen, den Widerstand gegen Ausbeutung und Polizei zu vernetzen. Junge Geistliche wie Rubem Alves oder verschiedene Bücher formulierten die Leitidee der Befreiungstheologie: das hermeneutische Dependenz-Prinzip. Danach ist nicht nur die Leidensgeschichte Jesu als Kampfesgeschichte der frühen Christen als unterdrückter Klasse zu interpretieren, auch das thoraische Exodus-Kapitel und die marianische Heilsverkündung wurden als irdische Erfüllungsprophezeiung aufgewertet. Die Frohe Botschaft verstanden die Anhänger nun nicht mehr als trostspendendes Sedativum, sondern als Aufruf zur Aneignung gesamtgesellschaftlichen Reichtums.

In den sechziger Jahren erlangten die Ideen der Befreiungstheologen Popularität bis hinein in Teile der römischen Kurie. Papst Paul VI. erklärte 1967 gewaltsame Revolutionen von links für legitim, der mexikanische Bischof Méndez Arceo erhob den Sozialismus 1972 zur „einzigen Lösung“. Im südamerikanischen Klerus wurde Theologie immer öfter gesehen als direkter Dienst am Menschen – der Kampf mit allen notwendigen Mitteln gegen die tödliche Armut wurde zum moralischen Gebot.

Sollte die Namensgebung des Franziskus nicht ein reiner Marketing-Gag gewesen sein, so hat er nur eine Wahl: alles Vermögen der Kirche den Armen zu spenden, um die sofort zu lindern. Sollte Franziskus das nicht tun, hätte er vor seinem eigenen Anspruch ketzerisch versagt. Gott, sollte er ein gütiger sein, dürfte seine Entscheidung bereits getroffen haben. Der Papst auf Erden muss sie jetzt also nur noch umsetzen. Das dürfte ja wohl nicht zu viel verlangt sein.

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