Niederländer machen's vor: iTunes für Texte

Micropayment Journalismus in appetitlichen Portionen. Warum eine ganze Zeitung bezahlen, wenn nur einzelne Artikel interessieren? Die Zukunft sieht anders aus
Ausgabe 19/2014
Bezahlmodelle umstellen? Die Verlage tun sich damit schwer ...
Bezahlmodelle umstellen? Die Verlage tun sich damit schwer ...

Foto: bonn-sequenz/ imago

Soltau in der Lüneburger Heide gilt nicht als Medienmetropole. In Soltau erscheint aber immerhin die Böhme-Zeitung, und die ist in gewisser Hinsicht weit vorn: Man kann dort online einzelne Artikel kaufen. Sie kosten zwischen drei und fünf Cent.

Die Böhme-Zeitung, die ihren Namen einem Fluss verdankt, ist eine von nur vier Zeitungen in Deutschland, die das ihren Nutzern ermöglichen. Das sogenannte Micropayment ist ansonsten verpönt. Lohnt den Aufwand nicht, sagen die Verlage. Sie wollen ihre E-Paper oder ihre Apps im Abo verkaufen. Manche Zeitungen, die auf Paywalls setzen, bieten auch sogenannte Tagespässe an.

Verfechter des Micropayment schauen deshalb neidvoll in die Niederlande. Dort ist gerade der Service Blendle gestartet, der Artikel aus 29 Zeitungen und Magazinen anbietet. Die Texte kosten zwischen 10 und 89 Cent, bezahlt wird im Prepaid-Verfahren. Es gibt sogar eine Geld-zurück-Garantie, wenn der Nutzer begründet, warum ihm ein Artikel nicht gefallen hat.

LaterPay, ein Münchner Micropayment-Startup, kann hingegen keine Verlagsinhalte anbieten. Dabei klingt die Grundidee charmant: Wie bei einem Bierdeckel in der Kneipe funktioniere das Bezahlen, so erklärt es Richard Gutjahr, Moderator beim Bayerischen Rundfunk und Berater des Unternehmens. Bei LaterPay zahlt man erst, wenn auf dem virtuellen Bierdeckel mehr als fünf Euro zusammengekommen sind. So wird nicht für jeden Einzelkauf eine Transaktionsgebühr fällig.

Der Vorteil von Micropayment liegt auf der Hand: Man kommt damit den Gewohnheiten von Lesern entgegen, die keine Stammmedien mehr haben, sondern sich ihre Lektüre via Twitter oder Facebook zusammenstellen. Und hofft, sie so davon zu überzeugen, doch noch einmal Geld für journa-listische Inhalte im Netz auszugeben. Leben die deutschen Verlage also hinterm Mond, wenn sie ein iTunes für Texte, wie so ein Modell der Einfachheit halber gern genannt wird, nicht hinbekommen? Die Anspielung auf Apples Kulturkaufladen ist in einer Hinsicht irreführend. Einen Zeitungsartikel liest man selten mehr als einmal, einen herausragenden Zeitschriftentext vielleicht zweimal, aber öfter sicher nicht. Die – so bürokratisch der Begriff in diesem Zusammenhang klingen mag – Nutzungsintensität eines Popsongs, den man für 1,29 Euro einkauft, ist also wesentlich höher.

Befremdlich ist aber, dass Verlage ihre Abwehrhaltung gegen Micropayment nicht zuletzt mit der Befürchtung begründen, Abonnenten würden abspringen, wenn man ihnen die Chance böte, sich die Rosinen herauszupicken. Wer so ängstlich ist, hat schon verloren. Auffällig ist auch, wie gering generell die Fähigkeit der hiesigen Verlage ist, bei Online-Bezahlmodellen zu kooperieren. Es sind ja nicht nur die Niederländer, die sich bei Blendle zusammengerauft haben. In den USA hat man bei Next Issue für eine Flatrate von monatlich 15 Dollar Zugriff auf die App-Versionen von 136 Zeitschriften aus fünf Verlagen. Hier kooperieren unter anderem Condé Nast (New Yorker, Vanity Fair) und Time Inc.

Blendle hat übrigens 200.000 Euro vom Stimuleringsfonds voor de Pers bekommen, der vom niederländischen Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft finanziert wird. Man kann sich leicht vorstellen, was in Deutschland los wäre, flösse hier öffentliches Geld in einen solchen Service. Von niederländischen Verhältnissen sind wir leider weit entfernt.

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