In Israel und Palästina führen nun offenbar bis auf weiteres die Extremisten beider Seiten Regie. Nach den Terroranschlägen von Hamas und Jihad war eine gewaltsame militärische Reaktion Israels vorhersehbar. Sie fiel martialisch aus - von Besonnenheit war wenig zu spüren. Arafat soll wohl eine allerletzte Verwarnung erhalten. Der nächste schwere Terroranschlag dürfte sein Schicksal besiegeln: Tod oder Exil.
Premier Ariel Scharon hielt sich zur Zeit der Attentate in den USA auf. Es war sein drittes Treffen mit Präsident Bush. Beide Politiker nehmen sich nicht viel in ihrer simplen Weltsicht. Arafat ist in den Augen von George Bush nun erst recht nicht mehr satisfaktionsfähig. Anstatt ihn durch ein Treffen aufzuwerten, beteiligt sich die US-Adminis
US-Administration an der fortgesetzten Delegitimierung des politischen Führers der Palästinenser. Vieles deutet darauf hin, dass George Bush dem Hardliner Scharon freie Hand im Umgang mit der Autonomiebehörde lässt. Das Weiße Haus, so scheint es, steht fest an der Seite Israels. Ansätze zur Diplomatie verlieren sich vorerst im Sog einer Gewalteskalation - US-Vermittler Anthony Zinni kann seine Mission getrost beenden, bevor sie überhaupt begonnen hat. Israel sieht sich dabei mehr denn je als Opfer und verdrängt, dass es dieses Schicksal auch deshalb tragen muss, weil es - ebenso wie die radikalen Palästinenser - schon so lange als Täter agiert. Ariel Scharon hat in seiner Rede an die israelische Nation Arafat den Krieg erklärt, denn dessen Ziel sei die Zerstörung Israels. Deshalb werde man wie die USA gegen den Terror vorgehen - es stehe kein leichter und kein kurzer Krieg bevor. Da stellt sich schon die Frage, schwebt ihm für die palästinensische Führung vielleicht eine afghanische Lösung vor, wie sie gerade Benjamin Netanyahu gefordert hat? Vom ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten heißt es, er habe das Massaker der Chinesen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking als verpasste Gelegenheit bezeichnet, in dieser Situation die restlichen Palästinenser aus Palästina zu vertreiben. Dass der Likud-Politiker zuweilen die Parole der Siedler "Keine Araber - keine Anschläge" wiederholt, ist bekannt. In diesem extremistischen Umfeld scheint Außenminister Shimon Peres nur noch ein Feigenblatt. Dass ihm Teile der Regierung diese Rolle sehr bewusst zuweisen, zeigt die Äußerung des Regierungsmitgliedes Avigdor Lieberman in der Zeitung Haaretz, wenn es dort heißt: Peres sei ein "exzellentes Propagandainstrument unter der festen Führung Scharons". Warum aber bleibt - unter diesen Umständen - die "Friedenstaube" Shimon Peres überhaupt noch im Kriegskabinett?Ariel Scharon könnte sich irren, wenn er meint, im Westen jetzt mehr Verständnis für die israelische Haltung zu finden. Dort dürfte man eine Lesart der Al-Aqsa-Intifada, wonach jede Form des palästinensischen Widerstandes zum reinen Terror mutiert sei, nicht übernehmen. Seit dem Ausbruch des Aufstandes in den Autonomiegebieten vor 14 Monaten hat Israel über 70 führende palästinensische Aktivisten und Politiker liquidiert. Das ist keine "Selbstverteidigung" mehr, sondern staatlich dekretierter Mord - sprich: Terror. Welcher Staat setzt schon Kampfhubschrauber ein, um unliebsame Individuen zu töten? Jeder kann schließlich nachvollziehen, wie sehr die Israelis mit ihrer kolonialistisch gefärbten Siedlungs- und Eroberungspolitik den Terror der Palästinenser immer von Neuem entfachen. Wer palästinensische Häuser und Olivenhaine zerstört, wer Land illegal enteignet, bestreitet einem Volk das Existenzrecht. Wie ist das mit westlichen Wertvorstellungen vereinbar, zu denen sich ja auch Israel bekennt? Kann sich der Westen eine doppelte Moral leisten, wenn es um israelische Menschenrechtsverletzungen geht? Und wenn ja, wie lange noch? Mit diesen Widersprüchen wird sich auch die politische Klasse in Deutschland auseinandersetzen müssen. Sie kann nicht weiter die Augen vor der israelischen Aggression verschließen und reflexartig den palästinensischen Terror verurteilen. Vieles spricht dafür, dass die Spirale von Terror und Gegenterror nur durch das entschlossene Eingreifen der UNO gestoppt werden kann, indem notfalls auch harte Sanktionen gegen die Konfliktparteien einen Waffenstillstand erzwingen. Vor allem den Vollzug der UN-Resolution 242, die einen Abzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten fordert. Doch einen politischen Sinn ergibt sich aus alldem nur, wenn das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern nicht länger auf den Austausch von Kriegserklärungen beschränkt bleibt.