Opferrolle rückwärts

Ausstellung Es ist ein krudes Rollenspiel um den falschen Skandal: Der Filmemacher Benjamin Geissler prangert die Überführung von Fresken des Malers Bruno Schulz nach Israel an
Screenshot aus dem Film "Bilder finden"
Screenshot aus dem Film "Bilder finden"

Foto: Benjamin Geissler

Ein enger Raum mit ausgetretenen Holzdielen, die Wände sind bis zur Brusthöhe mit dunkel lackierten Holzlatten beschlagen. Eigentlich ist die Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg als Ort für zeitgenössische Kunst bekannt. Nun wurde hier, mittels filmischer Projektion, wie in einem Heimatmuseum, eine alte Kammer rekonstruiert. Es ist die Nachbildung eines Zimmers mit Wandfresken des polnisch-jüdischen Autors und Malers Bruno Schulz. Schulz hat durch seine grotesken Erzählungen Die Zimtläden Weltruhm erlangt. 2001 spürte der Filmemacher Benjamin Geissler während der Dreharbeiten zu seinem Film Bilder finden das Zimmer im ukrainischen Dorf Drohobycz auf.

Die Fresken zeigen eine Gruppe pastellener Figuren, wie man sie aus illustrierten Märchenbüchern kennt: eine Kutsche, eine Gruppe Zwerge, eine Königin. Schulz hat die Szenen 1942 an die Wände des Spielzimmers der Kinder des SS-Hauptscharführers Felix Landau gemalt. Landau hatte ihm einen Arierpass versprochen, würde er die Arbeit zu seiner Zufriedenheit ausführen. Der Pass sollte ihn vor der sicheren Deportation retten.

In den Märchengestalten hat Schulz die Gewaltherrschaft der Nazis als Miniatur dargestellt: ein Reiter ähnelt dem SS-Mann Landau, die Königin seiner Liebhaberin. Bruno Schulz starb trotz gelungener Arbeit wenig später durch die Kugel eines SS-Mannes auf offener Straße. Er hatte vergeblich um sein Leben gemalt.

Kreissägen kreischen

In Geisslers Nachbau werden Schulz’ Märchenfiguren von Projektoren an die Wände geworfen. Dazu plätschert verträumt im Hintergrund ein Klavierstück, das Nocturne Nr. 8 von Chopin. Dann wird die Musik durch das Kreischen von Kreissägen zerrissen. Die Bilder verschwinden, die Ziegel darunter liegen offen wie Wunden.

Geissler inszeniert mit dem Bruch jedoch nicht die Bedrohung, der Schulz ausgesetzt war. Vielmehr skandalisiert er die Überführung der Fresken nach Israel. Im Juni 2001, kurz nach Geisslers Entdeckung, besuchten Mitarbeiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Drohobycz und entnahmen drei zentrale Bildfragmente, die seither Teil der Ausstellung in Jerusalem sind.

Das Vokabular, das Geissler für diesen Eingriff in Wandtexten und im Katalog verwendet, ist befremdlich: „Zerstörung“, „Verschleppung“, „geheime Aktion“. Man denkt an schwarz gekleidete Mossad-Agenten, die sich gewaltsam Zutritt verschaffen. In Wirklichkeit sind sich die Mitarbeiter der Gedenkstätte mit den Bewohnern der Villa schnell einig geworden. Einzig die Ausfuhr war illegal; bis heute zahlen die Israelis deshalb „Mietgebühren“ an die Ukraine.

Doch was wiegt die vermeintliche Entführung gegenüber der Entstehungsgeschichte der Kammer? Geissler sieht es anders. Er wollte die Villa zu einem Begegnungszentrum machen, die Israelis haben seinen Traum zerstört.

Der Untertitel der Ausstellung Das letzte Werk eines Genies versucht gar, der Tortur des Bruno Schulz noch etwas Sinn abzupressen: Die Einheit des Bilderzimmers als Ideal gerinnt zum Fetisch. Es ist ein krudes Rollenspiel, in dem Geissler selbst zum Opfer wird, wenn er die Gewalt inszeniert, die ihm, dem deutschen Wiederentdecker, durch die Juden angetan wurde.

Die Bilderkammer des Bruno Schulz , Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg, bis 9. September 2012

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