Eine halbe Million Menschen auf der Flucht vor horrenden Waldbränden, darunter Promis, die um ihr prunkvolles Hab und Gut fürchten - das sind Nachrichten ganz nach dem Geschmack einer medial angefachten Sensationslust. Doch Katastrophen wie derzeit in Kalifornien bieten noch mehr. Für die einen sind sie dankbare Projektionsflächen für eine neo-mystische Weltsicht, aus der sich die Natur für Sünden rächt, die die Menschheit an ihr begangen hat: Gaia strikes back. Für die anderen sind sie eine willkommene Gelegenheit, wieder einmal Versäumnisse einer korrupten Politik anzuprangern, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Während die einen sich so in Fatalismus ergehen und glauben, dass es nur noch bergab gehen kann, klammern sich die and
mern sich die anderen an die Hoffnung, mit geeigneten Vorsorgemaßnahmen könnten derartige Katastrophen im Prinzip jederzeit verhindert werden. Beide Haltungen greifen jedoch zu kurz. Ihnen entgeht ein wesentliches Merkmal der modernen Zivilisation: die Umgestaltung und Verknüpfung ursprünglich getrennter Ökosysteme in eine weltumspannende "Technosphäre". Sie entsteht aus fortschreitender Urbanisierung, entgrenzten Waren- und Verkehrsströmen, hochtechnisierter Landwirtschaft sowie globalen Kommunikationsnetzen.Fußabdrücke, überallDabei handelt es sich allerdings nicht um einen Prozess, der irgendwo außerhalb der Evolution stattfindet und deshalb als planetarer Unfall anzusehen wäre. Im Gegenteil: Er ist seit Jahrtausenden im Gange. "Abgesehen von der Reproduktion ist die natürlichste aller menschlichen Aktivitäten die Domestizierung der Natur", heißt es in einem Artikel über Domestizierte Ökosysteme, den eine Forschergruppe um den US-Ökologen Peter Kareiva kürzlich im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht hat. Mehr als 50 Prozent der weltweiten Landoberfläche werden als Weideland oder Anbauflächen genutzt. Bereits 1995 waren nur noch 17 Prozent in einem "ursprünglichen" Zustand, also ohne einen ökologischen Fußabdruck des Menschen in Form von Bebauung, Landwirtschaft oder anderen Spuren einer technischen Nutzung. Die Technosphäre stellt gewissermaßen den vorläufigen Höhepunkt dieser Domestizierung dar.Der Schlachtruf "Zurück zur Natur" ist da eigentlich sinnlos. Angesichts einer Weltbevölkerung von mehr als sechs Milliarden Menschen, die auf eben diese Technosphäre existenziell angewiesen ist, ist er darüber hinaus auch höchst bedenklich - impliziert er doch, dass kurzerhand Milliarden Menschenleben zur Disposition gestellt werden können. Von da ist es nicht weit zu einer neuen Herrenmenschen-Ideologie.Der Weg zurück ist uns also im wahrsten Sinne des Wortes verbaut, der Weg nach vorne leider aber alles andere als vorgezeichnet. Denn die Technosphäre darf nicht mit einer Maschine verwechselt werden, die bei vernünftiger Justierung und regelmäßiger Wartung - mittels "Geo-Engineering" - problem- und risikolos arbeiten würde. Vielmehr handelt es sich um ein hochkomplexes Meta-Ökosystem aus miteinander verschränkten geologischen, biologischen und technischen Prozessen.Komplexe Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass die Änderung eines einzelnen Teils weitere Veränderungen nach sich zieht, die nicht vorausberechnet werden können. Im Kleinen ließ sich dies schon in der Vergangenheit bei lokalen Ökosystemen erkennen, in die von Menschen etwa fremde Tier- oder Pflanzenarten eingeschleppt wurden. Die brachten eingespielte Nahrungsketten durcheinander, was zum Aussterben einheimischer Arten führen konnte.Anfällige SystemeNun aber sind technische Entwicklungen hinzugekommen, die die Komplexität noch einmal steigern - und damit die Anfälligkeit für Katastrophen potenzieren. Ein besonders drastisches Beispiel ist die zunehmende Bebauung von Küstenlandschaften (allein in Europa sind es 22.000 Quadratkilometer): Geologische oder klimatische Ausnahmeereignisse wie ein Tsunami oder ein Hurrikan bringen nicht nur mehr Tod und Zerstörung, sondern treffen auch ganze Volkswirtschaften immer stärker. Es müssen mehr Flüchtlinge versorgt, mehr Versicherungsfälle geregelt werden, und die Schäden einer verdichteten Infrastruktur fallen höher aus.Ausgeweitete Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukturen fördern andererseits das Wachstum der Megalopolen an den Rändern. Der Großraum Los Angeles wuchs in den vergangenen sieben Jahren um knapp vier Millionen Menschen. Die nördlich gelegenen Pendlerstädte Palmdale und Lancaster verzehnfachten ihre Einwohnerzahl in den letzten 30 Jahren - und sie bieten den von heißen Wüstenwinden angefachten Bränden nun ein breiteres Ziel als früher.Auch innerhalb technischer Systeme wächst die Anfälligkeit für Pannen aufgrund undurchschaubarer Wirkungsketten, wie der flächendeckende Stromausfall im Nordosten der USA und in Ost-Kanada im August 2003 zeigt. Der abschließende Untersuchungsbericht stellte schwerwiegende Mängel des Energieversorgers First Energy im Kontrollsystem seines Netzes und den Schnittstellen zu angrenzenden Netzbetreibern fest: Die Mittel, den jeweils aktuellen Zustand dieses komplexen technischen Systems in seiner Gesamtheit zu überblicken, waren nicht ausreichend. Dass dieser Großunfall in der Stromversorgung einer der industrialisiertesten Regionen der Welt möglich war, ist im übrigen auch dem Investitionsverhalten der Stromversorger geschuldet. Ökonomische Deregulierung, Konkurrenzdruck und Profitdenken verhinderten eine Modernisierung ihrer Infrastruktur.Den schwerwiegendsten Fall, bei dem sich geologische, biologische und technische Prozesse zu einer Katastrophe verstärken könnten, stellt schließlich die globale Erwärmung aufgrund des Treibhauseffekts dar. Verkehr, Energiegewinnung, Landwirtschaft und eine kurzsichtige Umnutzung lokaler Ökosysteme setzen gewaltige Mengen an Treibhausgasen frei, die am Ende die gesamte Technosphäre beeinträchtigen.Ganz hoffnungslos ist die Lage dennoch nicht: Während Katastrophen in früheren Jahrhunderten wie eine göttliche Strafe über die Menschen hereinbrachen, nehmen die Erkenntnisse über potenziell verheerende Wechselwirkungen innerhalb des globalen Meta-Ökosystems Technosphäre langsam, aber sicher zu. Aus verschiedenen Disziplinen wie Ökologie, Klimaforschung oder Urbanistik entsteht derzeit eine neue Erdsystemforschung. Die könnte in einigen Jahrzehnten zu einem umfassenderen Verständnis der menschgemachten Risiken führen und - politischen Willen und zivilisatorische Vernunft vorausgesetzt - zumindest einige Katastrophen im Ansatz vermeiden helfen.