Pfründe und Dilettanten

Kommentar Schrecken ohne Ende bei Toll Collect

Das Wort "Ausgleich" klingt besänftigend. In ihm verbindet sich "Gerechtigkeit" mit "Befriedung". Seine Mutation zur nervtötenden Dunstvokabel hat der grüne Verkehrsexperte Albert Schmidt zu verantworten: Er meint, wenn die Toll Collect, deren Fehlleistung bei der LKW-Maut ein Milliarden-Loch in den Bundeshaushalt reißt, vorläufig auf ihre Einkünfte aus dem nicht funktionierenden System verzichten müsse, stelle dies doch einen Ausgleich für den Bund dar. Das Dumme ist nur, dass sich Hans Eichel von diesem "Ausgleich" nichts kaufen kann. Schmidt eifert damit dem Daimler-Vorstand und bisherigen Aufsichtsrat von Toll Collect Klaus Mangold in der Disziplin Nebelwerfen nach: Der glaubt feststellen zu müssen, man habe sich nicht in seinen Fähigkeiten überschätzt, sondern in der zeitlichen Dimension des Projekts.

Dass man einen Vertrag abgeschlossen und darin zugesichert hat, das Projekt innerhalb eines bestimmten Zeitraums abzuschließen, könnte dabei beinahe in Vergessenheit geraten - und auch, dass man kurz vor dem vereinbarten Termin noch behauptetet hat, dass alles nach Plan verlaufe. Spannend wäre es auch, zu erfahren, wie Herr Mangold mit einem Zulieferer verfahren würde, der es wagte, ihn mit einer solchen Unverschämtheit abzuspeisen. Die Schlussfolgerung daraus kann doch nur lauten, dass hier entweder jemand dumm ist oder versucht, uns für dumm zu verkaufen.

Ein Blick auf die Parameter des Projekts vertieft diesen Eindruck. Dass man Hunderte von Mannjahren nicht in ein Jahr drängen kann, gehört zum Grundwissen des Ingenieurs. Selbst mit noch so viel Personal geht das nicht. Im Gegenteil: Jenseits einer gewissen Schwelle verzögert höherer Personaleinsatz ein Projekt, weil der Aufwand für Kommunikation und Koordination überproportional ansteigt. Entweder waren hier absolute Dilettanten am Werk oder Leute, die versuchten, sich durch Abgabe eines geschönten Angebots Pfründe zu sichern. Würde Letzteres zutreffen, ließen sich Schadensersatzansprüche begründen, die weit über die vereinbarte lächerliche Konventionalstrafe hinausgehen - bis hin zum Ersatz der entgangenen Maut. Die längst fällige Offenlegung der Verträge war also nur ein erster Schritt zur Aufklärung, dem weitere folgen müssen. Wurde bei Abgabe des Angebots von Toll Collect bewusst getäuscht? Diese Frage muss endlich gestellt werden.

Herauszufinden, wer wann was wusste, würde zu den Aufgaben einer parlamentarischen Untersuchung gehören. Die wäre angezeigt, um einem sich verstärkenden Eindruck entgegenzutreten: Der Souverän, das seien schon längst Leute wie Herr Mangold, die mit der Regierung Geheimverträge zu Lasten der Allgemeinheit abschließen und, wenn etwas auffliegt, locker erklären, sie hätten sich in einer Nebensächlichkeit halt mal geirrt - aber ansonsten nicht müde werden, uns immer wieder zu erklären, wie alles zu laufen habe.


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