"Plopp!" macht die Wahrheit

Kehrseite II "Wahrheit beginnt da, wo die Sprache aufhört", las ich neulich irgendwo. "Stimmt", dachte ich, mich einiger Situationen erinnernd, in denen ich mir ...

"Wahrheit beginnt da, wo die Sprache aufhört", las ich neulich irgendwo. "Stimmt", dachte ich, mich einiger Situationen erinnernd, in denen ich mir gewünscht hatte, ein Fisch zu sein oder ein Tennisball, ganz egal, jedenfalls ein Wesen, von dem man keine Worte will (die ja immer richtig oder falsch sein können), ein Wesen, von dem niemand erwartet, dass es das Richtige sagt und zum Falschen schweigt, dass es also mehr spricht als "blubb!" oder "plopp!"

"Eigentlich", dachte ich weiter, "wäre es in vielen, wenn nicht gar in den meisten ›Kommunikationssituationen‹ unerhört aufrichtig, die Konversation mit Blubbs und Plopps aufrecht zu erhalten (durchaus unter Variierung von Tonhöhe, Lautstärke und Klangfarbe!), anstatt zielgruppenspezifische Wortpäckchen zu packen, die höflich reihum gereicht werden, ohne ausgepackt zu werden, damit keiner sieht, was drin ist: Blubbs und Plopps."

Kaum war der Gedanke aus, rollte unter meinem Balkon ein Tennisball hervor, scheinbar aus dem Nichts. "Nanu, wo kommst du denn her?", fragte ich den Ball. Anstatt zu antworten, kullerte er noch ein Stück die Bordsteinrinne entlang, bis er von einer Löwenzahninsel gestoppt wurde. Ich ging runter, hob die gelbe Kugel auf und pustete ein paar Löwenzahnschirmchen und Straßenkrümel weg, die sich im Oberflächenfilz verfangen hatten. Jetzt erst sah ich den Jungen, der von seinem Fahrrad abgestiegen war und auf mich zu lief. Als er näher kam, sah ich, dass er älter war als es aus der Ferne schien, denn Augen und Mund wurden von kleinen Lachfalten umspielt. Er sah mich aus grünbraunen Augen seltsam unbestimmt an. Sein Blick ging vom Ball zu mir zum Ball. Er sah sehr ernst aus, und der ernste, etwas hastige Blick schien nicht recht in sein sonniges Gesicht zu passen.

"Gehört dir der Ball?", fragte ich. Statt einer Antwort blinzelte der Junge schräg an mir vorbei in die Sonne. "Sprichst du Deutsch?", versuchte ich es weiter. Keine Antwort. "Türkisch?" Nichts. "Arab?" Ich gab auf. Ich ploppte den Ball zwischen mir und dem Jungen auf den Boden. Der Junge fing ihn auf, lachte, stieg auf sein Fahrrad und fuhr weiter. Dabei hüpfte der Ball neben seinem Herrchen auf und ab. Ich wunderte mich, wie der Junge es schaffte, dass der Ball auf dem holprigen Kopfsteinpflaster nicht weg sprang. Zwischen dem Tennisball und dem Jungen auf dem Rad schien es ein unsichtbares Band zu geben. Junge, Ball und Rad bildeten eine Art unverwundbares Gespann. Ich sah ihm nach, bis es als Fluchtpunkt zwischen den Dreiecksflächen aus Häuserwänden, Himmel und Straße verschwand.

"Tennisball ist besser als Fisch", dachte ich, wieder auf dem Balkon. "Allerdings müsste man Glück haben und ins Abseits geschossen werden, weg vom Spielfeld, über den Rand hinaus, in die Freiheit, dahin, wo wirklich gespielt wird."

Ariane Greiner wurde 1973 geboren, sie arbeitet als freie Journalistin u.a. für das Arte-Magazin, für Wissen und für Zeit.de


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