Das gibt es nicht oft: Nachdem er benannt ist, türmt sich innerhalb von drei Tagen ein ganzer Stapel von Zeitungsartikeln auf, die den Mann vorstellen. Zwar kennt man ihn gut im Stadtteil Prenzlauer Berg, dort war er von 1991-1995 Kulturamtsleiter, auch im Rest Berlins hat man schon von ihm gehört, weil er als Baustadtrat Mitte zuweilen heftigen Widerspruch weckte. Sein Name und Gesicht sind darüber hinaus kaum jemandem vertraut. Er wird nun Senator für die "Zukunftsressourcen Berlins" (FAZ), jene Bereiche, von denen erhofft wird, dass sie die Hauptstadt positiv prägen, sie sogar heilen. Gerade die PDS hat immer in diese Richtung gedacht.
Der Koalitionsvereinbarung sofort den Krieg erklären, rät Christoph Stölzl
Alles wird hervorgeholt, was in wenigen
geholt, was in wenigen Stunden über ihn auffindbar ist: Lebensdaten, seine Dissertation von 1985 an der Humboldt-Universität, ein Papier über kulturelle Perspektiven des vereinten Berlins für die de-Maizière-Regierung, Presseattacken aus Zeiten, in denen er als Baustadtrat (1998-2000) dem Hotel Adlon einen Baldachin über dem Eingang und der Telekom zunächst ihr Signet am Brandenburger Tor untersagte. Es werden Pro- und Contrastimmen von Vorgängern, Gegnern, Mitarbeitern gesammelt. Fotos tauchen auf, immer irgendwo in der Stadt an Säulen oder Monumenten, stets mit längeren Haaren, die jetzt ab sind. Die Überschriften reichen von Intellektueller Parteisoldat (taz) bis Ein Glücksfall für Berlin (FAZ).Thomas Flierl wird nun der fünfte Kultursenator innerhalb von zwei Jahren sein, nach Peter Radunski, Christa Thoben, Christoph Stölzl (alle CDU) und Adrienne Goehler (parteilos), die in den vergangenen Monaten das Amt führte und die er sehr schätzt. Der Haushalt ist ständig geschrumpft, und in der Koalitionsvereinbarung haben sich SPD und PDS auf eine weitere Kürzung von 766 auf 714 Millionen DM festgelegt und gleich die Schließung des Schlossparktheaters und FU-Klinikums angekündigt. Stölzl, heute Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, nennt das "Kahlschlag" und rät Flierl, den er als "streitbaren und theoriefreudigen Gesprächspartner kennen gelernt" habe, der Koalitionsvereinbarung sofort den Krieg zu erklären. Das allerdings wird Flierl so nicht beherzigen, gibt er zu erkennen. Er will seine Politik von dem Ist-Zustand aus beginnen.Die PDS-Delegierten, die am vergangenen Samstag zum Schöneberger Rathaus streben, um ihre Kandidaten und die Koalitionsvereinbarung zu bestätigen, erleben eine peinliche Überraschung: Noch bevor der Eingang in Sicht ist, tönen Pfeifen und Gebrüll über den Platz. Leute in Kitteln protestieren gegen die geplante Schließung der Universitätsklinik Benjamin Franklin und gegen den nun doch vereinbarten Bau des Großflughafens Schönefeld, dem die PDS seit Jahren eher ablehnend gegenüber stand. Die Klinik gehört zur künftigen Klientel von Flierl. "Ich schäme mich, euch gewählt zu haben": Das Schild einer jungen Frau sehe ich als erstes. Dann: "Rot-Rot spart Berliner Forschung tot". Knappe Warnung vor dem Verlust der Anhänger: "Ohne Indianer keine Häuptlinge". Immerhin schiebt man noch nicht der PDS alle Schuld zu: "Wegen Landowskys miesen Kröten/ geht der FU das Klinikum flöten". Aber gemeinsam skandieren sie: "Wahlbetrüger". Drinnen höre ich eine Frau sagen: Das geht nicht gut aus. Sie wird bestätigt: Um den bankrotten Laden hätten wir uns nicht reißen müssen. Jemand sagt besorgt: Wenn sich unsere Gegner mit den Leuten verbünden, die zu Recht sauer sind, dann wird´s schlimm. Der Parteitag beginnt voller Verunsicherung.Leute, die zwölf Lehrjahre Bundesrepublik hinter sich haben, gehen in die Regierung Flierl ist 44, hat Kunstgeschichte und Philosophie studiert, ist 1976 in die SED eingetreten, hat 1985 promoviert, konnte dann wegen der Aktionen gegen den Abriss der unter Denkmalschutz stehenden Gasometer in Prenzlauer Berg nicht die Uni-Laufbahn einschlagen, sondern arbeitete im DDR-Kulturministerium, auch unter der Regierung de Maizière, bis er 1990 die Leitung des Kulturamtes seines Stadtbezirks übernahm. Er trat 1996 aus der PDS aus, kandidierte aber auf ihren Listen und trat der Partei 1999 wieder bei, als sie sich gegen die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO exponierte. Sein Vater ist Architekturhistoriker und gehört zur Kommission, die mit den Plänen zur Bebauung des Schlossplatzes befasst ist. Die Gestaltung einer modernen Stadt, das Verhältnis von Bewegungsraum und Selbstverständnis der Bürger war für Flierl immer schon ein vertrautes Thema. Er hat schon vorgeführt, auch Gegnerschaft in Kauf zu nehmen, wenn er sich gegen die Überwucherung mit Event-Kultur, gegen die Festivalisierung und Vermarktung der Stadt wendet, wie sie - als einzige Idee der CDU - von Volker Hassemer betrieben wird - früher selbst einmal Kultursenator, heute Geschäftsführer der Partner für Berlin. Wogegen die SPD kein eigenes Konzept setzte.Flierl meint, für Berlin existiere noch gar kein Kulturkonzept. Es sei überfällig. Kulturstaatsminister Nida-Rümelin zeigt sich offen für den künftigen Gesprächspartner. Verhandlungen mit der Bundesregierung über ihre Mitverantwortung für die Hauptstadtkultur und das Maß, in dem sie sich finanziell engagiert, werden eine große Rolle spielen.Einen Überblick über die weitverzweigte Kultur- und Kunstlandschaft Berlins traut Flierl sich zu. Das könne er einschätzen, meint er. Den Universitäten und der Forschung hingegen will er in der Anfangszeit die größte Aufmerksamkeit widmen. Der FU-Vizerektor hört, nachdem er eine Erklärung vorgetragen hat, was ihm beim SPD-Parteitag am Tag zuvor versagt blieb, unter einigen bis in den Saal vorgedrungenen Demonstranten den Debatten des Parteitags zu. Er gewinnt ein gewisses Vertrauen in Flierls Bereitschaft, gemeinsam mit den Leuten vom FU-Klinikum erneut zu prüfen, auf welche Weise es zu erhalten wäre.Überhaupt wendet sich die Stimmung, was der SPD bei ihren Delegierten nicht gelang: Stefan Liebich, Gabi Zimmer, Harald Wolf und Gregor Gysi zeigen Realitätssinn und suggerieren zugleich den Anwesenden ihren Willen zum Eingreifen. Gysi hält eine seiner fulminanten Reden: über den Kompromiss, den die PDS eingeht, über den "geschichtlichen Moment", in dem die ewige und tragische - wie er sie nennt - Konfrontation von SPD und KPD zugunsten einer Kooperation überwunden werde. Und so wird den Anwesenden immer klarer, dass sie in Berlin wirklich und unausweichlich als Leute mit SED-Biografie, die zwölf Lehrjahre Bundesrepublik hinter sich haben, in die Regierung gehen. Sie werden auf ihre Weise in der Krisenstadt eingreifen. Eine Stimmung des Anfangens macht sich bemerkbar, in der sich Beklemmung und Startenergie mischen. Alles mit ungewissem Ausgang.
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