Eine besondere Spielart rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten glaubt man in Mecklenburg-Vorpommern ausgemacht zu haben, den Mord an Obdachlosen. In diesem Sommer sind bereits drei Obdachlose im Bundesland an der Ostsee brutal ermordet worden; am 23. Juni der stadtbekannte Greifswalder Berber Klaus-Dieter Gerecke, am 9. Juli in Wismar der Obdachlose Jürgen Seifert und zuletzt im Usedomer Badeort Ahlbeck Norbert Plath am 24. Juli.
Diese drei Verbrechen weisen die Gemeinsamkeit auf, dass die mutmaßlichen Täter und Täterinnen alle sehr jung waren und zumindest entfernt der rechten Szene zugeordnet werden, zum Teil sogar selber eine rechtsextreme Motivation zur Tat anführen. Doch allein damit lässt sich ein Paradigmenwechsel innerhalb der organisierten extreme
en extremen Rechten nicht nachweisen. Die nachprüfbaren Verbindungen der jugendlichen TäterInnen zur NPD, den Freien Kameradschaften oder ähnlichen Strukturen sind äußerst dürftig. Bei der Einordnung dieser Morde als rechtsextreme Verbrechen entsteht sogar der Eindruck, dass die tatsächlichen Beweggründe für die Taten in den Hintergrund gedrängt werden sollen.Bei allen drei Morden gehen die Ermittlungsbehörden davon aus, dass Geld das erste Tatmotiv war. So waren der Greifswalder Klaus-Dieter Gerecke und der Haupttäter höchstwahrscheinlich sogar miteinander bekannt, da sie eine Zeitlang im selben Sozialwohnblock gelebt hatten. Der Täter, dessen Vita sich wie ein Beispielfall aus einem Lehrbuch für Sozialarbeit liest (Zerrüttetes Elternhaus, Heimaufenthalte, frühe Gewalterfahrung und -ausübung, kleinkriminelle Delikte, Lebensstandard auf unterstem Sozialhilfeniveau), war zusammen mit zwei Freundinnen am 23. Juni auf der Suche nach Geld und glaubte mit dem Obdachlosen ein Opfer, schwach und wehrlos genug, gefunden zu haben.Ähnlich war der Ablauf auch in Wismar nach Aussage von Herrn Wirsich von der zuständigen Schweriner Staatsanwaltschaft. Die fünf Jugendlichen wussten, dass sich in dem Abrisshaus des öfteren Obdachlose aufhielten, und wollten offenbar von diesen Geld erpressen. Die Staatsanwaltschaft möchte bislang erst bei einem Täter einen rechtsextremen Hintergrund nicht ausschließen, er war früher bereits durch das Tragen verfassungsfeindlicher Symbole straffällig geworden.Der Tathergang lässt wenig auf einen politischen Hintergrund schließen, im Raum stehen bleiben jedoch die Selbstbezichtigungen der Tatbeteiligten, aus einer rechtsextremen Motivation heraus gehandelt zu haben, sowie die vermuteten und zum Teil nachgewiesenen Kontakte zur rechten Szene.Wie auch die Staatsanwaltschaft einräumt, befindet sich in der Hansestadt Wismar ein Schwerpunkt der rechtsextremen Szene Mecklenburgs, ein offensives Auftreten von politischen Kadern gebe es jedoch kaum. Die lokale Antifa bestätigt das. Dass eine Militarisierung und auch quantitative Zunahme der Übergriffe durch jugendliche Neonazis zu beobachten ist, wird aber mit großer Sorge gesehen.Ein Bewohner des Flüchtlingswohnheimes im Stadtteil Kagenmarkt, in Sichtweite des Hauses, in dem Jürgen Seifert umgebracht wurde, berichtet ebenfalls von der erschreckenden Ausbreitung der lokalen Naziszene. Während noch 1996 die Flüchtlinge fünf Neonazis, die einen Togolesen am Bahnhof überfallen hatten, aufgriffen und der Polizei übergaben, ist inzwischen der Gang zum nächstgelegen Supermarkt eine Gefahr für ihr Leben. Zwei von ihnen wurden im Pennymarkt von mindestens acht Rechtsextremen mit Messern und Schlagstöcken angegriffen. Der Mord an dem Obdachlosen, der vielen der Flüchtlinge persönlich bekannt war - das Heim dient auch als Nachtasyl für Obdachlose - ist für die Flüchtlinge nur eine Bestätigung ihrer Angst und ständigen Bedrohung durch rechtsextreme Schlägerbanden. Diese gehen inzwischen soweit, ständig in drei Autos durch Wismar zu patrouillieren, und alle ihnen nicht genehmen Personen aus dem Auto heraus anzupöbeln.Die hohe Akzeptanz in großen Teilen der Bevölkerung und die Indifferenz der offiziellen Politik scheinen eher Ermutigung für jugendliche Gewalttäter zu sein, als faschistische Ideologieschulungen. So kann man sich fragen, wozu noch ausgebildete Nazikader nötig sind, wenn in der lokalen OstseeZeitung nach dem Ahlbecker Mord ein Teilnehmer des "Bündnisses für Ahlbeck" unkommentiert zitiert wird: "Ich habe richtig etwas gegen Braun. Ich kann aber auch nicht verstehen, warum Asylbewerber aus aller Welt, auch wenn sie in ihren Heimatländern nicht politisch verfolgt werden, in Deutschland ihre Hände ohne etwas zu leisten so weit auftun dürfen, dass sie obendrein Scheine nach Hause schicken können."Dass die Mörder von Wismar, Ahlbeck und Greifswald nicht alle dem hartem Kern der organisierten Neonaziszene zuzuordnen sind, ist kein Grund zur Entwarnung. Die ständige Bedrohung der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft durch rechtsextreme Gewalt und ihr immer häufigeres Ausbrechen sind alltägliche Realität und als solche zu behandeln und zu bekämpfen.Siehe auch