Das Telefon ist geschaltet. Unter dem Anschluss (0221) 79262 warten seit dieser Woche freundliche Mitarbeiter des Verfassungsschutzes auf die vertrauliche Kontaktaufnahme durch ausstiegswillige Rechtsextreme. Die Telefonschleife ist das neueste Mittel im Kampf gegen Rechts. Bundesinnenminister Otto Schily hofft, dass sich vor allem verunsicherte Mitläufer bei dem Call-Center melden. Doch das Aussteigerprogramm ist nur eine Initiative in der langen, vor allem von Aktionismus geprägten Liste der Maßnahmen gegen den Rechtsradikalismus. Die kommunale Jugendarbeit dagegen, die Grundlage jeder einzelnen Initiative sein müsste, wird seit zehn Jahren, vor allem im Osten ziemlich stiefmütterlich behandelt.
Seit im Sommer des vergangenen Jahres ein weiteres dramatisches Anste
ches Ansteigen rechter Gewalttaten konstatiert wurde, reißen die Debatten nicht mehr ab: Sind neue Programme nötig? Muss mit mehr Zuwendung oder mit mehr Repression reagiert werden? Oder bedarf es Beider? Müsste nicht eher Neues entwickelt werden? Wie zum Beispiel der Führerscheinentzug für rechte Gewalttäter? Soll Rechtsextremisten wegen der Störung des Betriebsfriedens der Arbeitsplatz gekündigt werden? Und wie verhält es sich dann, wenn sich die anderen Betriebsangehörigen durch geäußerte rechte Sprüche gar nicht gestört fühlen? Müssten nicht wenigstens - wie in Baden-Württemberg - überraschende Hausbesuche bei "Gewalttätern und Mitläufern" durchgeführt werden?Alltagspraktisch wird die Bekämpfung des Rechtsextremismus immer noch nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen, sondern Spezialisten zugewiesen. Diese sind: Sozialarbeiter, Mitarbeiter der Jugend- und Erwachsenenbildung, Therapeuten, Polizisten und unter diesen wiederum besonders spezialisierte: Sozialarbeiter mit der Kompetenz zur Arbeit mit "rechten Jugendlichen" und polizeiliche Spezialeinheiten in der Hoheit einzelner Bundesländer - je nach Konjunktur. Und wenn deren Arbeit nicht mehr zu fruchten scheint, werden Forderungen laut nach geschlossenen Heimen, amerikanischer "Drill- und Ranger-Pädagogik" oder Anti-Aggressions-Training mit rassistischen Gewalttätern im Strafvollzug.Die Liste der auf die Bekämpfung des jugendlichen Rechtsextremismus ausgerichteten P´rojekte ist lang. Sie reicht vom 1992 aufgelegten "Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt" (AgAG) der Bundesregierung über die Einrichtung mehrerer Länderprogramme, die Schaffung von auf Rechtsextremismus spezialisierten Polizeieinheiten wie MEGA in Brandenburg oder MAEX in Mecklenburg-Vorpommern hin zu mobilen Beratungsteams, die den vor Ort tätigen Unterstützung bieten sollen, wie z. B. das Handlungskonzept "Tolerantes Brandenburg" oder das in vier Regionen Sachsen-Anhalts eingerichtete Projekt "Miteinander e.V.". Hinzu kommen innerhalb und außerhalb des Strafvollzugs verankerte Trainingsprogramme sowie eine Vielzahl privater und kommunaler Initiativen.Offensichtlich steht das Jahr 2001 im Zeichen von "Aussteigerprogrammen". Das Bundesinnenministerium stellt Geld bereit, um Rechtsradikalen den Ausstieg mittels finanzieller Anreize schmackhaft zu machen. In Hamburg soll der Verfassungsschutz gezielt auf potenzielle Aussteiger zugehen. In Baden-Württemberg wurde durch das Landeskriminalamt eine zehn Mitarbeiter starke "Interventionsgruppe Rechts" ins Leben gerufen. Angehörige der Staatsschutzabteilung wollen mit Unterstützung von Psychologen und Pädagogen sowohl Intensivtäter als auch Mitläufer aus der rechten Szene herauslösen. Niedersachsen folgt mit einem in Verantwortung des Justizministeriums liegenden Programm, das sich vorrangig an abgeurteilte und inhaftierte Straftäter richtet. In privater Trägerschaft wurde in Berlin das von Bernd Wagner initiierte Aussteigerprojekt "Exit" aufgebaut, das vorrangig durch Spenden finanziert wird. Schon die Präsentation der neuen staatlichen Aussteigerprogramme im Januar erweckte den Eindruck, dass einmal mehr mit "heißer Nadel" gestrickt worden ist. Innenminister Otto Schily ließ die Frage nach dem Finanzvolumen des Bundesprogramms offen. Der sonst wortgewaltige niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer geriet bei der Frage danach, ob den "rechte" Straftäter eine bessere Unterstützung bei der Wiedereingliederung erfahren würden als andere Strafgefangene, in sichtbare Erklärungsnot. Christoph Holstein, der Sprecher der für das Hamburger Programm zuständigen Innenbehörde, wusste nur wenig vom Aussteigerprogramm des Bundesinnenministers.Die Gefahr besteht, dass eine uneinheitliche Organisation und eine nicht aufeinander abgestimmte Ausgestaltung zu Reibungsverlusten und darauf basierenden Misserfolgen führen. Auch wenn die Programme kleinere Erfolge zeitigen können, bleibt doch die wesentliche Frage offen, weshalb ständig neue Formen der Spezialintervention geschaffen werden müssen, obwohl gerade in Ostdeutschland eine krisenfest installierte kommunale Jugendarbeit immer noch fehlt. In den meisten östlichen Landstrichen existiert zwar eine hohe Dichte an Jugendeinrichtungen. Das Personal ist allerdings auch im zwölften Jahr nach der Wende nicht angemessen fachlich ausgebildet und in der Mehrzahl der Fälle nur zeitlich befristet angestellt. Personalwechsel nach einem Jahr - in den Zyklen der ABM- und SAM-Programme - verhindern einen mittelfristig wirksamen Beziehungsaufbau zu gefährdeten Jugendlichen. Ein Scheitern - speziell in der Arbeit mit jugendlichen Problemgruppen - ist unter solchen Bedingungen vorprogrammiert und in nicht wenigen Fällen bereits eingetreten. Angesichts der unzulänglichen Absicherung kommunaler Jugendarbeit ist auch nicht verwunderlich, dass öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe den Versuch unternommen haben, wenigstens einen Teil ihrer Pflichtaufgaben aus den immer wieder neu aufgelegten Sonderprogrammen finanziert zu bekommen. Nicht anders ist zu erklären, dass die Mehrzahl der über 140 Projekte, die - unter Einbeziehung von Anschlussprogrammen der Länder - bis 1998 aus dem AgAG-Programm finanziert wurden, später entweder in Regelangebote kommunaler Jugendarbeit übergingen oder aber längst nicht mehr existieren. Mit den ursprünglichen Zielgruppen arbeitet kaum noch eines der Nachfolgeprojekte.Weniger Aktionismus und mehr Kontinuität war schon immer wichtigstes Prinzip in der Arbeit mit Problemgruppen. Dieser Grundsatz gilt insbesondere auch für die Bekämpfung von Gewalt und Rassismus.Titus Simon lehrt Soziale Arbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal und arbeitete bereits in den siebziger und achtziger Jahren mit jugendlichen Gewalttätern.