Rechtsextreme, die sich links verorten

Selbstwahrnehmung Eine Untersuchung von Menschen mit rechtem Gedankengut beförderte Erstaunliches zutage

Der von einem Jenaer Forscherteam um Heinrich Best jährlich erstellte „Thüringer Monitor“ bestätigt es einmal mehr: Rechtsextremes Gedankengut wächst nicht nur in zunehmendem Maße in die nivellierende „Mitte“ hinein, es findet sich immer häufiger auch bei Menschen, die sich selbst links der Mitte verorten. Laut Monitor stufen sich knapp 40 Prozent der Befragten mit rechtsextremem Weltbild als „etwas links“ oder „links“ ein – doppelt so viele wie noch vor elf Jahren. Nicht „Extremismus der Mitte“, sondern „Extremismus des Überall“ sei, so die Autoren, die sozialtopographisch zutreffende Beschreibung für die Verortung rechtsextremer Einstellungen.

So beunruhigend dieser Befund ist, gerade auch vor dem Hintergrund eines erneuten Anlaufs zum NPD-Verbot, so wenig kann er heute noch überraschen. Dass gerade antisemitische Stimmungen in der kapitalismuskritischen Szene verbreitet sind, ist bekannt; und auch die Occupy-Bewegung musste sich im vergangenen Jahr mit diesem Problem auseinandersetzen.

Natürlich, für manche mag das eine Zumutung sein, ist doch der wesentliche sinngebende Nenner auf Seiten der Linken die scheinbar unmissverständliche Idee der Gleichheit (im Gegensatz zur Ungleichheitsideologie der Rechten) gewesen, wie auch der italienische Politologe Norberto Bobbio betont. Aber diese Idee kann im Extremfall dann sehr krude Formen annehmen: etwa in der Zustimmung zu der Aussage, dass „unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform“ ist, solange diese zum Beispiel distributiven Zwecken dient. Laut Monitor stimmen dieser Position 16 Prozent der Landesbevölkerung zu.

Ungenaue Begrifflichkeiten

Die Autoren der Studie betonen aber, dass der Rechtsextremismus-Begriff viel zu schwach konturiert sei und deshalb gar „nicht als politische Position begriffen werden“ könne. Mit der Verwendung der Links-Rechts-Skala für die Messung politischer Einstellungen haben sie dagegen kein Problem. Aber hat sich dieses Schema nicht auch längst realiter überlebt? Können Leute, die ja nicht einmal wissen, dass sie Rechtsextremisten sind, überhaupt wissen, wo rechts ist und wo links?

Bei der Erklärung des Phänomens sollte man das Zerbrechen kollektiver Identitäten im Blick haben; ein Prozess, den die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe nicht müde wird zu betonen, und der die dunkle Seite unseres postideologischen Zeitalters bildet. Mouffe argumentiert, dass mit dem Drängen der Sozialdemokraten in die „Neue Mitte“ die für das Politische konstitutiven Antagonismen verschwinden – mit der Folge, dass an die Stelle der demokratischen Links-Rechts-Opposition eine Aura der Alternativlosigkeit tritt, die die Menschen in die Hände der Rechtspopulisten treibt. Scheinbar als einzige weichen die noch vom Mitte-Konsens ab und auf eine inhaltsleere „Volkssouveränität“ zu.

Diese Kräfte sind natürlich vollkommen inakzeptabel, haben aber in Ostdeutschland und einigen europäischen Ländern eine beträchtliche Anziehungskraft. Eine solche Perspektive ist freilich für die demokratische Linke sehr unbequem, wäre es doch an ihr, über den zweifellos lobenswerten „Kampf gegen rechts“ hinaus echte programmatische Alternativen anzubieten, die das demokratische Lager für die Menschen wieder attraktiver machen.

Danny Michelsen wurde 1988 in Rostock geboren und ist Politologe

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