Ruhestätte nur für Lesben

Frauensache In Berlin gibt es jetzt einen Friedhof nur für Lesben. Das ist gut und richtig – aber die Reaktionen darauf strotzen nur so vor Misogynie
Ausgabe 17/2014
Aktivistinnen während der Eröffnungszeremonie auf dem Berliner Friedhof Anfang April
Aktivistinnen während der Eröffnungszeremonie auf dem Berliner Friedhof Anfang April

Foto: Odd Andersen/ AFP/ Getty Images

Als die Bild-Zeitung am 1. April die Schlagzeile „Erster Friedhof nur für Lesben“ brachte, war absehbar, dass damit ein Aprilscherz suggeriert wurde – einer, der sich in der Folge als Nicht-Aprilscherz entpuppen sollte. Nach dem ersten Schock würden dann die Schlauen kopfschüttelnd den Realitätsgehalt der Nachricht feststellen und sich dabei zugleich ihrer eigenen Normalität versichern: Na, so was Verrücktes! Was denn noch alles?

In den Postings bei Facebook und Twitter wurden aus Witzeleien schnell lesbophobe Zoten, die schließlich in helle Empörung umschlugen. So postete der Schriftsteller Peter Glaser auf seiner populären Facebook-Seite einen ntv-Link mit der Überschrift: „Erster Lesbenfriedhof in Berlin eingeweiht“. Und kommentierte: „Da fällt mir gerade nichts zu ein.“ Einigen seiner über 3.000 Leser fiel indes umso mehr ein. Der Tenor: Wie könne man sich nur aus unserer toleranten Gesellschaft freiwillig ausgrenzen? Da müsse man sich nicht wundern, wenn man diskriminiert würde. Gehässig wurde ein Foto der Initiatorinnen kommentiert: Wie sehen die aus? Das sollen Frauen sein?

Auch in anderen Foren löste die Nachricht vom „Lesbenfriedhof“ eine Woge von Häme und Hass aus: Vielleicht möchten die Lesben ja vermeiden, dass sie unter der Erde von Männern angebaggert werden? Ein paar Tage später meldete Bild dann: „Die erste Friedhöfin hat eröffnet“. Nun erhoben verfolgte Männer ihre Stimme, selbst ernannte Opfer von sogenanntem Tugendterror und Political Correctness: Bewiesen sei wieder mal das unerbittliche Fortschreiten der Dekadenz.

Auch wenn meine eigenen sterblichen Überreste gern im isländischen Vulkan Eyjafjallajökull entsorgt werden können – das Bedürfnis der Stiftungsfrauen, eine eigene Ecke auf einem allgemeinen Friedhof zu reservieren, kann ich sehr gut nachvollziehen. An Orten des stillen Gedenkens möchte man ja nicht unbedingt allen Menschen begegnen: betrunkenen Fußballfans etwa, oder evangelikalen Homo-Sexpertinnen wie Birgit Kelle.

Tatsächlich ist der „Lesbenfriedhof“ ein 400 Quadratmeter großes Areal auf dem evangelischen Georgen-Parochial-Friedhof am Prenzlauer Berg. Dort haben einige Lesben nun Grabplätze für sich und Freundinnenpaare reserviert. Etwas Ähnliches existiert seit Jahren auf dem St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg, ganz ohne Mediengetöse: Dort befinden sich nicht nur die Ehrengräber der Gebrüder Grimm und der Frauenrechtlerin Minna Cauer (1841–1922), sondern auch Grabstätten schwuler Freundespaare und Gemeinschaftsgräber. Der Verein „Denk mal positHIV“ hat beispielsweise Grabstätten für an AIDS verstorbene Berliner eingerichtet. Auf diesem wunderbaren Friedhof findet sich in einen Grabstein graviert gar fundamentale Kritik am Schöpfer: „Geboren im falschen Körper.“ Und neben dieser Inschrift glänzen Dürers Betende Hände in Bronze.

Auf dem Schöneberger St.-Matthäus-Friedhof ist auch Nikolaus Utermöhlen (1958–1996) beerdigt, mit dem ich 1980 die Band Die Tödliche Doris gründete. Im Jahr 2008 wurde dort der bekannte Gehörlosenaktivist und Gebärdenperformer Gunter Trube bestattet, und vor wenigen Wochen der Merve-Verleger Peter Gente. Auf diesem Westberliner Friedhof der Subkulturen serviert Polit- und Trümmertunte Ichgola Androgyn frischen Apfelkuchen – im einzigen Friedhofscafé Deutschlands.

Kurz: Die Aufregung um den neuen „Lesbenfriedhof“ ist eine effektvolle mediale Inszenierung für alle Normalos, die endlich auch mal Opfer sein wollen. Tatsächlich ist das Areal eine schöne Bereicherung der Berliner Friedhofskultur.

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