Was habe ich gelesen?
„Nachts um eins am Telefon. 2 CDs">Nachts um eins am Telefon“ von Michael Köhlmeier.
Seitenzahl: 159.
Amazon-Verkaufsrang: 509.358
Warum habe ich es gelesen?
In einer schlaflosen Nacht legte ich „Un-Glück“ (das pubertär-geniale Frühwerk des besten deutschsprachigen Journalisten – aber dazu nächste Woche mehr) beiseite und griff zu Michael Köhlmeiers kleinem Meisterwerk „Nachts um eins am Telefon“.
Worum geht es?
Nachts ist die Einsamkeit am größten. Und die Sehnsucht am stärksten, dass es da noch jemanden gibt, dem es genauso geht. Daraus entsteht – wer kennt es nicht? – der Mut, Menschen Dinge zu sagen, die einem bei Tageslicht nie über die Lippen kämen. Die Nacht bringt es an den Tag und genau davon handelt „Nachts um eins am Telefon“. Der namenlose Erzähler telefoniert nachts mit alten Freunden, seiner großen Liebe und manchmal auch mit Unbekannten – ihre Gemeinsamkeit ist ihre Einsamkeit. Das ist besser als es zunächst klingt. Es ist ein Buch über das Selbstexil und die Freundschaft, über die Verlorenheit und die Angst – und über die Liebe. Witzig ist es auch und sehr intim. Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier missachtet die Nähe zum Leser, wie einer, der in der Warteschlange zu dicht aufschließt und dadurch etwas mithört, was er eigentlich gar nicht erfahren wollte. Das ist sehr unangenehm und sehr aufschlussreich. Die stärkste Stelle des Buches ist das Kapitel „7 Freunde“ auf Seite 79. Dort listet Köhlmeier seine sieben besten Freunde auf. In chronologischer Folge. Die Beschreibungen sind so gnadenlos, dass man inständig hofft, sie entsprächen nicht der Wahrheit.
Was bleibt hängen?
Köhlmeier kann viel in wenig Worte packen. Für die Beschreibung einer Kleinfamilie etwa braucht er gerade mal einen Satz: „Mein Vater erklärte die Weltlage. Mitten hinein sagte meine Mutter: ‚Erklär mir nicht die Weltlage.‘“
Wie liest es sich?
Das Buch ist ein echter Page-Turner. Ich las es in einer Nacht. Das Besondere: Man meint, Köhlmeier schreibe genau so, wie er spricht – obwohl man ihn noch nie hat sprechen hören.
Das beste Zitat:
„Wenn wir uns treffen, sprechen wir es aus: ‚Es war eine große Liebe‘, sagt sie. Und ich sage das auch. Ich betone ein anderes Wort in dem Satz. Wenn sie auf das ‚war‘ den Akzent legt, mache ich Druck auf das ‚große‘“.
Wer sollte es lesen?
Neurotiker, die ihr Leiden lieber als Kurzgeschichte denn als Krankheit sähen.
Was lese ich als nächstes?
„Un-Glück“ von Constantin Seibt und Michael Spittler
Die Alltagslektüre: In seiner Kolumne unterzieht Freitag-Autor Mikael Krogerus jede Woche ein Buch seinem persönlichen Literatur-Check. Zuletzt:"Die letzte Partie" von Fabio Stassi
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