Am Freitag wird der Bundestag gegen die Stimmen der Linken den „Fiskalpakt“ beschließen. Er verpflichtet die unterzeichnenden Staaten, eine Schuldenbremse in ihre Verfassungen zu verankern, die weitere Kreditaufnahmen faktisch verbietet. Übersteigt die Verschuldung 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, sollen sie bestraft werden. Das klingt vernünftig. Wer hat schon gerne Schulden?
Gerne wird von der schwarz-gelben Koalition zur Begründung die „schwäbische Hausfrau“ bemüht. Sie wisse, dass sparen müsse, wer Schulden habe. Doch die Analogie ist falsch. Denn die Schwaben sind nicht nur für ihre Sparsamkeit bekannt, sondern auch für ihre Einfamilienhäuser. Und jeder Eigenheimbesitzer mit Durchschnittseinkommen weiß
weiß, dass man dieses nur über einen Kredit finanzieren kann. Die Schuldenquote der Eigenheimbesitzer ist dann in Bezug auf ihr Jahreseinkommen schnell höher, als die der Staaten, die als hochverschuldet gelten. Aber nicht nur Menschen oder Unternehmen müssen manchmal investieren. Das gleiche gilt für Staaten. Straßen, Schulen und Schwimmbäder werden über Jahrzehnte genutzt. Deshalb ist es nur logisch, dass diese Investitionen auch über Jahre finanziert werden.Staatliche Investitionen führen in der Regel sogar zu mehr Einnahmen. Der Staat investiert in Infrastruktur und Bildung und schafft damit die Voraussetzung, dass Unternehmen Gewinne und Menschen gute Löhne erzielen können. Durch gezielte Investitionen kann der Staat sogar einem Absinken der Einnahmen in einer Krise entgegenwirken. Diese Logik galt übrigens für das Grundgesetz, bis diese Regelung durch die Schuldenbremse ersetzt wurde.Kritisch wird es für den Staat erst, wenn seine Einnahmen zurückgehen – so sind die Spitzensätze der Einkommenssteuer in den USA von 1950 bis heute von 90 Prozent auf 35 Prozent, in Deutschland von 95 Prozent auf 45 Prozent und in Frankreich von 60 Prozent auf 40 Prozent gesenkt worden. Diese seit Jahrzehnten betriebene Politik des Einnahmeverzichtes ist letztlich der Grund für die Schuldenkrise der Staaten. Doch von einer stärkeren Besteuerung von Reichtum ist heute kaum die Rede.Der Finanzmarktindustrie ist gelungen, ihre falsche Erzählung über die Ursache der Krise durchzusetzen. Sie wird nun nicht mehr als Krise der Finanzinstitute und ihrer Fehlspekulationen wahrgenommen, sondern als Staatsschuldenkrise. Dabei sind die tatsächlichen Ursachen der Krise am besten mit drei U zu beschreiben:Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen, Ungleichgewichte bei der Vermögensverteilung und die Unterregulierung der Finanzmärkte. Einige Fakten zur Verdeutlichung: Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung verfügen in Deutschland über 62 Prozent des Vermögens, die restlichen 90 Prozent der Bevölkerung müssen sich den Rest teilen. Die Schattenbanken, auch bekannt als Hedgefonds, haben inzwischen einen finanziellen Umfang, der den der normalen Geschäftsbanken nahekommt. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss der Exportnation Deutschland beträgt 170 Milliarden Euro.Unverbindliche LyrikDen Fiskalpakt als „Schuldenbremse“ zu bezeichnen, ist ein Euphemismus. Treffender ist, ihn als Investitionsbremse zu bezeichnen. Das faktische Investitionsverbot ist volkswirtschaftlich kontraproduktiv. So als würde man einem Unternehmen verbieten, in neue Maschinen zu investieren und es zwingen, weiter mit nicht mehr wettbewerbsfähigen Maschinen zu arbeiten. Die Folge ist klar: Die Pleite wird wahrscheinlicher, nicht unwahrscheinlicher. Der Fiskalpakt wird die Bundesrepublik zwingen, jährlich 25 Milliarden Euro einzusparen. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik weist übrigens darauf hin, dass hierzulande ein zusätzlicher Investitionsbedarf von mindestens 75 Milliarden Euro pro Jahr besteht. Bei konsequenter Umsetzung der Schuldenbremse setzt das eine extreme Erhöhung der Steuereinnahmen voraus, die nicht mit einer europäischen Transaktionssteuer oder einer leichten Erhöhung der Einkommensteuer zu erzielen ist. Der Fiskalpakt wird also notwendige Investitionen verhindern und in Sozialabbau führen.Da zur Verabschiedung des Fiskalpakts eine Zweidrittelmehrheit benötigt wird, hätten SPD und Grüne ihn verhindern können. Doch die SPD hat mit ihrer Zustimmung eine Richtungsentscheidung für eine Große Koalition mit der CDU getroffen. Ihre K-Frage wird zur V-Frage: Statt eines Kanzlerkandidaten nominiert sie nur noch Vizekanzlerkandidaten. Beschämend ist auch das Agieren der Grünen, die sich ihre Zustimmung für das Versprechen auf eine Finanztransaktionssteuer und einen Beipackzettel mit viel unverbindlicher Lyrik abkaufen ließen.Hätte die SPD international agiert und im Bündnis mit dem französischen Präsidenten François Hollande auf eine Nachverhandlung des Fiskalpaktes bestanden, wäre dies eine Chance für eine Beendigung der neoliberalen Politik in Europa gewesen. Doch stattdessen handelt die SPD wie ein kleiner Koalitionspartner Merkels. Wer den verschuldeten Ländern wirklich helfen will, der muss die europäischen Leistungsbilanzen ausgleichen, die Zinskosten für Staaten durch Direktkredite der Europäischen Zentralbank senken, die Banken regulieren und für höhere Steuereinnahmen sorgen.Postdemokratische EUEin Einwand der Befürworter des Fiskalpakts lautet: Die Schuldenbremse stünde schon im Grundgesetz. Dem ist zu entgegnen: Sollten sich einmal die Mehrheitsverhältnisse ändern, dann könnte eine Zweidrittelmehrheit die Schuldenbremse wieder streichen. Aber aus dem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag über „Stabilität, Koordinierung und Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion“ kann Deutschland nicht einseitig austreten.Der Fiskalpakt manifestiert den postdemokratischen Zustand der europäischen Gesellschaft. Der von oben verordnete Sparzwang erhält auf einmal europaweit Verfassungsrang. Der europäische Demos wird nicht gefragt. Eigentlich hätte der Fiskalpakt eine Modifikation der europäischen Verträge nötig gemacht. Aber die Exekutiven haben den Fiskalpakt am Europarecht vorbei als völkerrechtlichen Vertrag durchgesetzt. Mit dem Fiskalpakt steht der Kontinent, auf dem einst das Demokratieprinzip geboren wurde, vor einer autoritären Wende. Was jetzt auf dem Spiel steht, ist der Kern der Demokratie, nämlich, dass Parlamente über die Verwendung von Steuern, über Investitionen und Einsparungen eigenständig entscheiden. Setzt sich die Logik des Fiskalpakts durch, vollziehen die Parlamente letztlich nur noch die neoliberale Spardoktrin. Die Demokratie wird in eine Zwangsjacke der Alternativlosigkeit gesteckt. Sie wird zu einer Veranstaltung von Technokraten, bei der einzig darum gestritten werden darf, wer am effektivsten spart, wer Frauenhäuser, Universitäten und Sozialsysteme am besten zusammenstreicht. Mit dem Fiskalpakt haben die Neoliberalen ihr ökonomisches Paradigma in Marmor gemeißelt.Das Projekt Europa steht am Scheideweg. Mit dem Fiskalpakt werden die Weichen in Richtung Sozialabbau gestellt. Der Euro wird scheitern. Eine gemeinsame Währung kann die verstärkten sozialen Unterschiede in Europa einfach nicht aushalten. Um das zu sehen, muss man kein Linker sein. Selbst der US-Präsident Barack Obama kann dem Sparkurs nichts abgewinnen. Die Linke wird deshalb gegen Fiskalpakt und EU-Rettungsschirm klagen. Beide sind mit unseren Vorstellungen von Demokratie und Sozialstaat nicht vereinbar.Ein Vertrag, der so stark in die demokratischen und sozialen Rechte eingreift, sollte nur per europaweiter Volksabstimmung beschlossen werden. Zwei Alternativen könnten zur Auswahl stehen. Zum einen der Fiskalpakt, also Investitionsbremse und Sozialabbau. Diesen Weg möchte Schwarz-Gelb gemeinsam mit Rot-Grün einschlagen. Oder zum anderen eine Politik, die an der Wurzel der Krise ansetzt und endlich eine europäische Wirtschafts- und Sozialunion auf den Weg bringt. Dafür ist eine Umverteilung von oben nach unten und über eine couragierte Regulierung der Finanzmärkte unabdingbar.So eine Abstimmung könnte auch einen positiven Aspekt verstärken: Lange galt die EU als ein Projekt der Bürokraten in Brüssel. Die Öffentlichkeit konzentrierte ihre Aufmerksamkeit vor allem auf das eigene Land. Doch immer mehr Menschen blicken über den nationalen Tellerrand. Die Wahlen in Griechenland und Frankreich wurden auch in Deutschland mit großem Interesse verfolgt. Namen wie Alexis Tsipras und François Hollande sind in aller Munde, als handle es sich um Fußballstars. Eine europäische Öffentlichkeit und ein europäischer Demos sind auf einmal da. Sie sind der Hoffnungträger für eine soziale und demokratische Erneuerung der EU. Vorerst werden sie die europäische Idee vor dem Fiskalpakt verteidigen müssen.