TiSA Die USA und Europa wollen auch Dienstleistungen im Bildungs- oder Gesundheitssektor privatisieren. Dazu ist ein Abkommen mit rund 50 Staaten geplant
Schon während des bayrischen G7-Gipfels im Sommer war klar, was da noch alles kommt
Foto: Philipp Guelland/AFP/Getty Images
Das transatlantische Wirtschaftsabkommen TTIP steht im Mittelpunkt des Protests, wenn am Samstag zehntausende Bürger in Berlin demonstrieren wollen. Doch das Abkommen hat noch einen „bösen Bruder“, über den die Öffentlichkeit wenig weiß: TiSA oder „Trade in Services Agreement“. Das Abkommen bezieht sich auf Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit oder Wasserversorgung. Das Vertragswerk geht in vielen Punkten weiter als der Warenvertrag TTIP.
Das TiSA-Programm lässt die Herzen der Wirtschaft höher schlagen: Es geht um Geschäfte mit Daten, um Privatisierungsdiktate für das Bildungs- und Gesundheitswesen, um Verbote für die Rekommunalisierung von Wasserwerken. TiSA ist ein Dienstleistungsabkommen zwischen rund 50 Staate
50 Staaten und soll Regierungen darauf verpflichten, privaten Profitinteressen Vorrang einzuräumen vor öffentlicher Versorgung der Bürger. Daseinsvorsorge gäbe es dann nur noch gegen Cash.Die Freihandelsabkommen des dritten Jahrtausends haben gegenüber ihren Vorgängern eine neue Qualität. Hier steht nicht im Vordergrund, Zollschranken abzureißen und den Warenaustausch zwischen Ländern anzukurbeln. Die neuen Verträge greifen tief in die Autonomie der unterzeichnenden Länder ein, sie definieren Leitlinien für deren Politik und verbieten künftigen Regierungen, dieses neoliberale Programm zu revidieren. Unter Führung der EU und der USA sollen mit Hilfe von TiSA weltweit profitable Dienstleistungsmärkte privatisiert werden. „Dabei geht es vor allem um den Abbau der staatlichen Regulierung“, sagt TiSA-Expertin Maritta Strasser von der Organisation Campact. Private Anbieter sollen besseren Zugang zu profitablen Märkten und neuen Geschäftsmodellen bekommen, das betrifft die Müllabfuhr ebenso wie die Energieversorgung. Von dem Abkommen werden die großen, multinationalen Unternehmen profitieren. Mehr Arbeitsplätze, wie Regierungen und Wirtschaftsverbände in Aussicht stellen? Leere Versprechen, glaubt Strasser.Unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln seit 2012 die USA, die EU und mehr als 20 weitere Staaten über das Abkommen, darunter Australien, Chile, Island, Kolumbien, Pakistan, Peru und die Türkei. Gemeinsam haben die verhandelnden Staaten fast zwei Drittel des globalen Dienstleistungsmarktes unter Kontrolle. Obwohl die Verhandlungen geheim sind, kommen – wie bei TTIP – immer wieder Dokumente ans Licht, die Einblicke in das brisante Vorhaben geben.Die Wirtschafts-NATODie Verhandler des Dienstleistungsabkommens nennen sich selbst „real good friends“ – wirklich gute Freunde. Ihre Kritiker haben eine weniger sympathische Bezeichnung für sie: „Wirtschafts-NATO“. Das ökonomische Bündnis trifft sich bevorzugt in der australischen Botschaft in der Schweiz. 13 Runden haben die Unterhändler bereits hinter sich, zwei weitere sollen in diesem Jahr noch folgen. „Ein konkretes Datum für das Ende der Verhandlungen kann nicht benannt werden“, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministers.Die deutsche Regierung verspricht sich von dem Abkommen „Erleichterungen für deutsche Unternehmen durch Marktöffnungen in interessanten Dienstleistungsmärkten“. Scharf sind deutsche Unternehmen vor allem auf neue Aufträge in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Information und Telekommunikation sowie Logistik und Transport. Zugang zu den Märkten in anderen Ländern sollten sie eigentlich schon über die sogenannte Doha-Runde innerhalb der Welthandelsorganisation WTO bekommen. In der Doha-Runde, benannt nach dem Tagungsort der Auftaktsitzung in Katar, verhandeln Entwicklungs- und Industrieländer über Marktöffnungen – schon seit 2001, aber bislang ohne Ergebnis. Die Bundesregierung erhofft sich über die TiSA-Verhandlungen auch eine Belebung der Doha-Runde.Dass sich Länder bislang dagegen gesperrt haben, ihre Volkswirtschaften europäischen und amerikanischen Exporteuren auszuliefern, hat gute Gründe. Schwächere Länder profitierten oft nicht, wenn im großen Stil ihre Märkte geöffnet werden, meint Attac-Experte Roland Süß.Das Wort Freihandel habe einen positiven Klang – aber meist vor allem für die Weltmarktführer. Deutschland und die USA etwa, erklärt Süß, hätten ihre Märkte erst für Waren von außen geöffnet, als ihre Unternehmen zur Weltspitze gehörten. Das wollten sie wirtschaftlich schwachen Ländern nicht zugestehen. Was ihnen über die Doha-Runde nicht gelang, wollten sie jetzt mit TiSA durchsetzen.Jedes beteiligte Land wird einen eigenen Vertragstext bekommen. Das Abkommen soll aus einem allgemeinen Teil und länderspezifischen Anhängen bestehen. „Die starken Länder können den schwächeren die Bedingungen diktieren“, fürchtet Süß. In Einzelverhandlungen wird festgelegt, welche Sektoren privatisiert und welche Subventionen gestrichen werden sollen. Weitere Länder sollen später beitreten können – wenn sie die Regeln der Wirtschafts-NATO akzeptieren.Doch nicht alle lassen sich auf dieses Spiel ein. Uruguay will die TiSA-Verhandlungen verlassen, weil es kein Privatisierungsdiktat riskieren möchte. Präsident Tabaré Vázquez beauftragte seinen Außenminister, entsprechende Schritte einzuleiten. Landesweite Proteste hatten für den entsprechenden Druck gesorgt. Die TiSA-Gegner des lateinamerikanischen Landes fürchten unter anderem die Privatisierung der bislang staatlichen Telekommunikation und des Energiesektors sowie das Ende bestimmter Gesundheitsleistungen für Einkommensschwache.Auch in Deutschland gibt es Bedenken. Nichtregierungsorganisationen, Grüne und Linkspartei fürchten, dass TiSA hierzulande zu einem Privatisierungsschub führt. Die Bundesregierung widerspricht dem. „Es ist weder Ziel noch Inhalt der TiSA-Verhandlungen, öffentliche Dienstleistungen in Deutschland zu privatisieren“, sagt ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Bundesregierung werde keine neuen Marktöffnungsverpflichtungen für den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge übernehmen.Ob das für Deutschland tatsächlich gilt, wird erst der Abschlusstext der Verhandlungen zeigen – Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ändert seine Meinung nicht selten um 180 Grad. Der Geist der Verhandlungen jedenfalls ist eindeutig: Es geht um einen erheblichen, dauerhaften Privatisierungsdruck . TiSA-Kritiker wie Roland Süß fürchten die Systematik des Abkommens. „Es soll eine Negativliste geben“, sagt er. „Das heißt: Dienstleistungen, die nicht genannt werden, werden automatisch liberalisiert.“ Festgeschrieben werden soll auch, dass bereits privatisierte Geschäftsfelder nicht wieder in staatliche Hand gelangen dürfen. Das würde den Spielraum von Städten, Ländern und künftigen Bundesregierungen erheblich einengen. Die von Grünen, SPD und Linkspartei geforderte Bürgerversicherung zum Beispiel, die das Aus der privaten Krankenversicherer zur Konsequenz hätte, könnte dann womöglich nicht eingeführt werden. Die Städte Berlin und Paris haben mit der Privatisierung ihrer Wasserversorgung schlechte Erfahrungen gemacht. Sie rekommunalisierten die Wasserversorgung. „Das ist mit TiSA kaum noch möglich“, sagt Süß.Bedenken zerstreuenEs ist wie bei TTIP – die Kritiker warnen vor konkreten Punkten, die Befürworter des Abkommens bestreiten jede Gefahr. Das Bundeswirtschaftsministerium sieht das nicht so. „Die Regeln werden so gefasst, dass auch Spielraum für künftige Maßnahmen bleibt, etwa für Rekommunalisierungen von Daseinsvorsorgeleistungen“, sagte ein Sprecher. „Der in der Öffentlichkeit vielfach behauptete Druck zur Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge entbehrt jeder Grundlage.“ Das sehen die Kritiker anders. Sie verweisen auf die vorgesehene „Stillstandsklausel“, die Privatisierungen mindestens auf dem erreichten Niveau festschreiben soll.Deutschland ist stark genug, solche Klauseln für sich zu streichen. Unklar ist aber, wo die Prioritäten liegen. Das gilt auch für einen weiteren Verhandlungsgegenstand, einen der wichtigsten Rohstoffe im Internetzeitalter: Daten. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich, nicht in den Handel mit Daten einzugreifen. Sie sollen Dienstleister nicht davon abhalten dürfen, Informationen und persönliche Daten von Bürgern und Bürgerinnen in ein anderes Land zu transferieren und sie dort zu verarbeiten. Datenschutz wird so zur Makulatur, sagen Kritiker. Die Bundesregierung versucht auch hier, Bedenken zu zerstreuen. „Die Bundesregierung wird in engem Austausch mit der Kommission darauf achten, dass TiSA die Anwendbarkeit bestehender oder künftiger Datenschutzregelungen in der EU nicht beschränkt“, so das Bundeswirtschaftsministerium. Ausnahmen aus vorhergehenden Abkommen sollen übernommen, weitere Ausnahmen in speziellen Kapiteln aufgenommen werden.Kritikerinnen wie die Campact-Aktivistin Strasser bleiben skeptisch. „Deutschland ist beim Datenschutz schon ein zahnloser Tiger“, sagt sie. „Mit TiSA droht Deutschland zu einem Tiger ohne Unterkiefer zu werden. Der freie Datenfluss soll völkerrechtlich festgelegt werden.“ Damit wäre es nach Abschluss eines Abkommens über Dienstleistungen beispielsweise auch möglich, die Gesundheitsdaten von Bundesbürgern in den USA zu verwerten.Eine Kampfansage ist TiSA auch für die sogenannte Open-Source-Bewegung, die Computerprogramme entwickelt und für die Nutzer kostenlos zur Verfügung stellt, etwa das Betriebssystem Linux. Es wurde als Alternative zu den Giganten Windows und Apple geschaffen. Open-Source-Programme werden immer beliebter, nicht nur bei Privatleuten. Auch Stadtverwaltungen wie die in München und Schwäbisch Hall setzten auf die öffentlichen, kostenfreien Betriebssysteme, etwa um hohe Lizenzgebühren zu sparen. TiSA würde öffentlichen Auftraggebern verbreiten, bei Ausschreibungen die Vorgabe zu machen, dass die entwickelte Software auf Open-Source-Programmen beruht. Kein Wunder, dass auch in den Kommunen der Widerstand nicht nur gegen TTIP wächst, sondern auch gegen den bösen Bruder TiSA.
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