UMTS als Reformkasse

KOMMENTAR Absurde Tilgungsbesessenheit

Dass Ron Sommer und Hans Eichel gemeinsam im globalen Telekom-Poker versagen, stand vor zwei Wochen an dieser Stelle. Trotz schlechter Terminierung der UMTS-Auktion im Sommerloch sei der Bundesfinanzminister hiermit in diesem einen Punkt rehabilitiert. Denn die Vergabe der neuen Mobilfunk-Frequenzen bringt doch viel mehr als noch vor kurzem erwartet werden konnte. Welche Kalkulation der Telekom-Konzerne im einzelnen hinter diesen Lizenz-Milliarden steckt und wer von ihnen am Ende nur noch die eigene Konkursmeldung mit der neuen Technik verbreitet, wissen wir nicht. Bekannt aber ist, welche Politik die Verwendung dieser Sonder-Einnahmen leitet: der Staat als braver Schuldner, der sich gegenüber allen sozialen und ökologischen Belangen taub stellt. Noch nie gab es ein solches Geschenk Gottes. Um so erstaunlicher ist, dass ausgerechnet rot-grüne Modernisierer das Geld ausschließlich zur Schuldentilgung verwenden wollen und somit ihren gegen Null tendierenden Reformeifer dokumentieren.

Bleibt es bei diesem Kurs, dann haben SPD und Grüne - nach dem Sparpaket von 1999 und nach den jüngsten Steuerbeschlüssen - ein weiteres Meisterstück der unverbrüchlichen Freundschaft mit Kapitalmärkten und Unternehmen abgeliefert. Wer angesichts einer Milliarden-Versuchung Härte zeigt, dem gehört die volle Solidarität der Besitzenden, die zumindest für Schröder und Eichel zum Ausgangspunkt aller Überlegungen geworden zu sein scheint. Wo sind die Stimmen in den Koalitionsparteien, die ein Ende der Tilgungsbesessenheit und eine Rückkehr zur gestaltenden Politik fordern? Warum nicht die Schuldenminderung auf die 20 UMTS-Milliarden begrenzen, die Eichel bereits eingeplant hatte, und die stattliche Mehreinnahme von über 60 Milliarden als unverhoffte, aber höchst willkommene Finanzierungschance begreifen? Herr Trittin könnte fordern, dass die bislang nur in bescheidenem Maße geförderten erneuerbaren Energien nun einen kräftigen Schub erhalten. Herr Klimmt könnte verlangen, dass Ballungsräume Unterstützung bekommen, wenn sie die mit dem Autoverkehr verbundene Stadtzerstörung begrenzen. Frau Bulmahn sollte medienwirksam Schulen besuchen, bei denen Elektrokabel von den Decken hängen und das Durchschnittsalter des Lehrkörpers bald 55 beträgt. Frau Wieczorek-Zeul schließlich könnte sich für eine stärkere Entlastung der ärmsten Länder der Erde einsetzen. Und wie wäre es mit einem deutlichen finanziellen Signal an alle Bürgerinitiativen und Projekte, die sich gegen Neonazis engagieren und in ihrem Umfeld für mehr Zivilisation sorgen? Sollte Eichels Verdikt "Alles für die Schuldentilgung" koalitionsintern ohne Diskussion und ohne Veränderung durchgehen, wäre das nicht nur ein Armutszeugnis für SPD und Grüne, sondern auch eine Aufforderung an alle, die im Herbst gegen die soziale Schieflage rot-grüner Politik demonstrieren wollen, eine Annahme des Gottesgeschenkes zu verlangen.

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