Und ewig lockt der Markt

Russland Eine Ausstellung im Berliner Festspielhaus möchte uns in die Tiefen der russischen Kultur hineinlocken. Ob es ihr gelingt, weiß Christoph Bannat

„Mit dem Verstand ist Russland nicht zu fassen – man muss an Russland glauben.“ Dieser Gemütskitsch des Lyrikers Fjodor Tjutschew ist oft zum Machterhalt missbraucht worden. Aber er fällt auch gern im komplizierten Verhältnis zwischen Deutschland und Russland, wenn es wieder einmal um die russische Seele geht. Ein Verhältnis, das von missglückten Feldzügen, Weltkriegen, gescheiterten Revolutionen und dem Auseinanderdriften einer Föderation geprägt ist, und heute in einem humanistisch geprägten Pragmatismus zwischen Öl- und Gaslieferungen und der Forderung nach mehr Menschenrechten stagniert. Da kommt Kunst, geht es doch um die Seelenlage des großen Bruders, gerade recht. Wird ihr doch zugetraut, alles zu vereinen: Glaube, Gefühl und Verstand.

Der deutsche Blick auf russische Künstler ist heute zwischen Oldschool Ilya Kabakov und Jugendclub-(Pussy)-Riot stehen geblieben. Bei einer 140 Millionen Einwohner zählenden, multiethnischen Vielvölker-Föderation darf das nicht alles sein.

Performances und Malerei

Das V_Museum – Platform Moscow ist so etwas wie eine digitale Bibliothek junger russischer Künstler. V_ steht hier für virtuell. Ein White Cube, für den Künstler entweder eigene Arbeiten produzieren oder in dem sie digitale Reproduktionen ihrer Werke zeigen lassen können. Dazu gibt es Biografien und Interviews. Das Ganze hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und zeigt nur eine kleine Peergroup, eine Handvoll Künstler, zwischen 1968 und 1986 in Russland geboren, die hauptsächlich in Moskau agieren. Es sind Vertreter einer westlich geprägten Kunst, wie wir sie seit Jahren von Messen und Biennalen kennen.

Ein Potpourri aus partizipatorischen Mitmachprojekten, zwischen Stadtdesign mit verwischter Aufklärungsgeste der Gruppe MishMash. Fotorealistische Gouache-Malerei von Taisia Korotkova, lackierte Pressspanreliefs als konzeptuelle Minimalart und Selbsterschöpfungs-Performances von Pavel Kiselev sowie Retro-Russian-Collagen von Olya Kroytor.

Ruhige Fahrstuhl-Klänge

Die Ausstellung im oberen Foyer des Berliner Festspielhauses besteht aus einer 6-Beamer-Surround-Bilderschau unterlegt mit Elektro-Fahrstuhl-Pop. Interaktiv heißt hier, dass man sie selbst an- und abschalten kann. Eine verpasste Chance, im Rahmen des deutschen Russlandjahrs 2012/13 den Betrachter einmal zu überraschen. Dieser vom Auswärtigen Amt geförderten White-Cube-Trockenbauleistung mit digital animierter Fototapete will es nicht gelingen. Und leider gibt es die Bibliothek auch nicht im Netz, wo sie hingehört.

Zeitgleich kann man im Rahmen des RusImport-Festivals im Martin-Gropius-Bau die russische Profi-Künstler-Gruppe AES+F mit Die Triologie, einer perfekten digitalen Salonmalerei im H&M-Werbelook, genießen. Oder als Kontrastpunkt Jurij Kosagovskijs Rondismus... Pointillismus, Kubismus, Abstraktionismus... Rondismus im Russischen Haus in Berlin, mit seinem lieblosen, sozialistischen Charme vergessener Tage.

Dazwischen steht das junge V_Museum, das bereits mit der Namensgebung seinen Glauben erkennen lässt, steht es doch am Ende der Wertschöpfungskette im Kunstmarkt. Und da heute langfristige Zukunftsentwürfe, geschweige denn Utopien, nicht hoch im Kurs stehen, liegen die Versprechen eher in den Möglichkeiten der Breite. In Russland, denen eines noch nicht ausdifferenzierten Marktes.

V_Museum – Platform Moscow, noch bis zum 9. Dezember im Haus der Berliner Festspiele

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