Unheimlich wie dieser Fluss

Mysteriös In Joe R. Lansdales „Dunkle Gewässer“ suchen Jugendliche einen stinkenden Killer
Ausgabe 21/2013

Da, wo der Hund begraben liegt, wird der tote Körper der Schönheitskönigin gefunden. Ein bildhübscher Teenager als Wasserleiche – woran erinnert uns das? Manch einer erinnert sofort, dass die Mysteryserie Twin Peaks genauso begann. Eine Serie, die zum Kult mutierte, weil Regisseur David Lynch es fertigbrachte, dass einem immer wieder das Blut in den Adern gefror. Mit dieser kulthistorischen Vorlage also nimmt es der vorliegende Roman Dunkle Gewässer des Texaners Joe R. Lansdale auf.

Und sein Gewässer ist dunkel. Die Leiche von May Lynn ist schon einige Tage kalt, als sie, beschwert mit einer alten rostigen Nähmaschine, aus dem Sabine River auftaucht. Der Fluss hatte sie geschluckt. Und wieder freigegeben. Wie bei Twin Peaks. Und dieser Fund wirbelt das abgelegene Dorf so richtig durcheinander. Wie bei Twin Peaks. Doch im Unterschied zur Serie fragt man sich, wie der Mord an May Lynn je aufgeklärt werden soll. In diesem Kaff schaut nicht das FBI herbei, sondern im Gegenteil befindet der korrupte Dorfpolizist, das Verbrechen sei nicht aufzuklären, und lässt May Lynn flugs in einem Armengrab verscharren. Nur ein paar jugendliche Freunde nehmen Anteil, ein junges Trio, das bald auf eigene Faust ermittelt. Aber wie vorgehen? Es gibt kein Motiv, die drei haben nicht die Möglichkeiten wie das FBI und Geld ja sowieso nicht. Das Leben sehen diese 16-Jährigen, wie man das eben tut in diesem Alter: naiv und abgeklärt. Und Lansdale schafft es, durch die Brille dieser Teenager einen Blick auf die Lage zu richten, der authentisch ist.

Ich-Erzählerin Sue Ellen wird zu Hause missbraucht, ihr Freund Terry ist schwul und Jinx ist schwarz, sie alle sind Außenseiter in der rüden Südstaaten-Idylle, in der sie leben. Die drei wissen nur eins: Die schöne May Lynn hatte den Mut gefasst, nach Hollywood zu fliehen. Und ihr zu Ehren müssen sie die Asche in Hollywood verstreuen. Sie graben also ihre Freundin aus und müssen sich einer nach dem anderen dabei übergeben.

Blutiger Tobak

So drastisch war Lynch Anfang der Neunziger nicht vorgegangen, wenn er auch seine eigenen Gänsehaut-Methoden hatte. So wie Lansdale in Dunkle Gewässer: Leichenteile, abgetrennte Gliedmaßen, gelegentlich spritzt auch mal das Blut „in alle Himmelsrichtungen“: Was auf die drei Teenager (und den Leser) zukommt, ist starker Tobak. Es bleibt ja nicht nur bei einer Leiche. Auf die drei wartet eine turbulente Odyssee und man weiß nie, was wohl als nächstes passiert: Thrill oder Horror.

Es gibt einen „Bob“ bei Lansdale. So wie Lynch einen Mythos um den Grauhaarigen bei Twin Peaks strickte, erschafft der Texaner „Skunk“, einen stinkenden, blutrünstigen Killer, der Legenden zufolge am Fluss hausen soll und dessen Markenzeichen es ist, seinen Opfern die Hände abzutrennen. Ob es ihn wirklich gibt, bleibt offen, Sue Ellen, Terry und Jinx stoßen allerdings auf einen genauso zugerichteten Toten ... Und einen Schatz, der dazu führt, dass ihnen auch noch das halbe Dorf auf den Fersen ist.

Auf der Flucht verführt der jugendliche Leichtsinn die Truppe immer wieder dazu, zu trödeln oder sich in Situationen zu begeben, in denen man am liebsten rufen will, sie mögen sich doch beeilen. Mit skurrilem Humor und morbider Kraft beschreibt Lansdale diese Abenteuerreise, dem Leser selbst stehen unterwegs entweder die Haare zu Berge oder es wächst das ein oder andere graue Haar. Landsdale lässt die drei abtauchen in dunkle Strudel der menschlichen Natur und kurz darauf wieder sorgenfrei am Wasser entlang spazieren. Er lässt es krachen und entblößt dann wieder still und leise die Sorgen und Träume von Teenagern, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Ein Grusel-Schocker, eine Sozialstudie. Twin Peaks hatte uns seelische Abgründe mit einzigartigen Allegorien gezeigt. Joe R. Lansdale kann mithalten: „Der Fluss strömte dahin, als wäre nichts geschehen, uns oder jemand anderem. Der Fluss war einfach nur der Fluss. Mir kam plötzlich der Gedanke, dass er wie das Leben war ...“

Dunkle Gewässer Joe R. Landsdale Hannes Riffel (Übers.), Klett-Cotta 2013, 320 S., 19,95€

Axel Sommer war vor vielen Jahren als Gerichtsreporter unterwegs

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