Uns steht eine neue Netzguerilla bevor

Geheimdienste Erst jetzt wird der Zusammenhang deutlich – zwischen dem Buch Cypherpunks und den Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden
Ausgabe 27/2013
Uns steht eine neue Netzguerilla bevor

Foto: Greg Wood / AFP / Getty Images

Erst jetzt wird der Zusammenhang deutlich – zwischen dem Buch Cypherpunks und den Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden. Im März 2012 führten die vier Netzexperten Julian Assange, Andy Müller-Maguhn, Jacob Appelbaum und Jérémie Zimmermann ein Gespräch, das hierzulande als alarmistisch und „verrückt“ abgetan worden ist. Es kündete von einer Radikalisierung innerhalb der Netz- und Hackerszene, die gewisse Ähnlichkeiten zur Zerfallsphase der Studentenbewegung aufweist.

Mehrere Entwicklungen deuten in diese Richtung: Auffallend ist zunächst die seit der Demontage von WikiLeaks bei wichtigen Vordenkern stattfindende Desillusionierung in Sachen Internet. Aus dem „Paradies der Freiheit“ ist quasi über Nacht die „Hölle der Überwachung“ geworden. Es zeigt sich – zweitens – das aus der Desillusionierung hervorgehende Bewusstsein, dass man es mit einem „tendenziell totalitären“ militärisch-postindustriellen Komplex aus Geheimdiensten, Armee, Polizei und IT-Unternehmen zu tun hat. Und es findet sich – drittens – der aus dem politischen Bewusstsein abgeleitete Gedanke, möglichst schnell ein hermetisches Gegensystem aufbauen zu müssen, mit eigener Krypto-Kommunikation und eigener Geldversorgung.

Die Mobilisierungsfähigkeit der Bevölkerung wird dagegen distanziert betrachtet. Man hält die Menschen für manipulierbar und auch für tendenziell hilflos. Alle demokratischen Kontrollen scheinen zu versagen. Eine Lösung erblicken die Radikalen nur noch in der Militanz. Nur „eine Elite von High-Tech-Rebellen“, heißt es in Cypherpunks, sei in der Lage, sich dem „Moloch Überwachungsstaat“ zu entziehen.

Das klingt nun gar nicht mehr so abstrus. Mithilfe von Drohnen, Servern und Filtersoftware, heißt es weiter, werde ein „weltweites Spionage- und Zensurregime“ errichtet. Das Internet sei heute „eine riesige Spionagemaschine“.

Die nun enthüllte „Five Eyes electronic eavesdropping alliance“, bestehend aus den Geheimdiensten Großbritanniens, der USA, Kanadas, Australiens und Neuseelands, kommt dem vermeintlichen Zerrbild schon ziemlich nahe.

Das liest sich – wie gesagt – im Jahr 2013 anders als noch im Jahr 2012. Vielleicht müssen wir das Internetzeitalter künftig in eine Zeit vor und in eine Zeit nach Snowden einteilen. Die Zeit der Happenings und des spielerischen Umgangs mit dem Netz ist jedenfalls vorbei. Den Netzpolitikern, die seit Jahren mit zäher Kleinarbeit und demokratischen Mitteln für ein freies Internet kämpfen, erwächst daraus eine neue Verantwortung: Sie müssen den radikalisierten Gruppen – die sich mit Kleinkram nicht mehr abspeisen lassen werden – eine überzeugende Alternative anbieten. Das heißt: Die (europäische) Netzpolitik muss endlich liefern.

Prism und Tempora könnten sich als Geburtshelfer einer militanten Netzguerilla entpuppen – was die These bestärkt, dass unkontrollierte Geheimdienste immer genau das hervorbringen, was sie zu bekämpfen vorgeben.

Ende des vergangenen Jahrhunderts wurden die ehemaligen Vertreter der Studentenbewegung häufig mit der unangenehmen Frage konfrontiert, warum sie die Abspaltung und das Abgleiten mancher Gruppierungen in den Untergrund nicht erkannt und verhindert haben. Möglicherweise stehen wir heute vor einer ähnlichen Weggabelung.

Wolfgang Michal ist Mitbegründer von carta.info

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

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